Christopher Just: 30 Jahre hinterm Pult

(c) Julia Stix
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In der smoothen Oswald-Haerdtl-Bar lässt Musik­produzent Christopher Just drei Dekaden Clubkultur Revue passieren.

An dieser Stelle soll Johann Strauß 1867 seinen „Donauwalzer“ „released“ haben, heute tanzt die Szene hier zum Soundtrack von „Pulp Fiction“: der Volksgarten. Seit August beherbergt der unter Denkmalschutz stehende Wintergarten eine neue „Location“, die ­­Oswald-Haerdtl-Bar. Kürzlich bat Gabbi Werner alias The First Lady OBT eine illustre Schar Wiener DJ-Größen zu einem Shooting für einen neuen Club. Und während Tom Wieland aka 7 Samurai und Felix The Houserat vor der Linse posierten, bat das „Schaufenster“ den Wien-Rückkehrer Christopher Just zum Interview. Der 1968 in Wien-Penzing geborene DJ und Produzent ist 2010, nach einem dreijährigen Aufenthalt in New York, wieder in seine Heimatstadt umgezogen. Nun spricht er mit uns über seine DJ-Anfänge, die Veränderung der Wiener Szene, Kaffeehausbesuche im Big Apple und seine Hassliebe zur Dance-Musik der 1990er-Jahre.

Wie sind Sie zum Auflegen gekommen?
Angefangen aufzulegen habe ich Anfang der 1980er, da war ich 13, im Restaurant Motto. Ich habe eigentlich die Garderobe gemacht. Eines Tages ist dort einmal der DJ ausgefallen, und der damalige Chef hat zu mir gesagt: Just, jetzt ist deine Chance! Ich habe den Abend mit viel Zittern hinter mich gebracht. Damals habe ich schon erkannt, was man mit der Musik anstellen kann, wie man Stimmungen beeinflussen kann, sogar in einem Lokal, das auch ein Restaurant ist. Ich habe das im Motto zwei Jahre lang gemacht.

Mit welcher Musik haben Sie die Leute damals zum Tanzen gebracht?
Ich habe so ziemlich alles gespielt. Von Trevor-Horn-Produktionen bis Freddy Quinn.

Wer waren damals Ihre großen Vorbilder?
Wien hatte in den 1980er-Jahren eine sehr starke Identität gehabt. Die Szene war heiß, man hat extrem selbstständig gearbeitet. Und man hat sich selbst genügt, also nicht ins Ausland geschaut, was dort abgeht. Ich wollte damals unbedingt in die U4-Szene rein. Die mixenden DJs habe ich sehr bewundert. Weil wir hier im Volksgarten sitzen: Soul Seduction war damals wohl das erste wirkliche Clubbing. Bis zu zwei Stunden sind die Leute vor der Tür gestanden, damit sie reinkommen.



Wie viel hat man vor 30 Jahren als DJ verdient?
Die großen DJs im U4 haben damals 1000 Schilling bekommen, und im Motto 300 Schilling. Aber das war für mich viel Geld, ich konnte mir damit neue Platten kaufen. Platten waren meine Leidenschaft, auch wenn sie 200 Schilling gekostet haben.

Wann sind Sie erstmals international für Gigs gebucht worden?
Ich habe damals mit Peter Votava Ilsa Gold gegründet, hauptsächlich aus Spaß. Das war konzeptuell, ravig und knapp beim absolut Geschmacklosen (lacht). Das erste Konzert haben wir Anfang der 1990er-Jahre im U4 gespielt. Kurze Zeit später hat uns jemand von einem Plattenlabel kontaktiert und gesagt: Der Sven Väth hat euer Tape gehört, findet es super und will es für seine Charts. Kurze Zeit später saßen wir im Flugzeug nach Deutschland. Das war großartig. Man wird für Raves eingeflogen und bekommt dann sogar noch Geld dafür, dass man Spaß hat. Das haben wir dann drei bis vier Jahre fast jedes Wochenende gemacht.

Und dann haben Sie sich Ihrem Soloprojekt gewidmet . . .
Neben dem Schrägen wollte ich parallel sogenannte ernst zu nehmende Elektronik machen. Diese eher reduzierten Sachen habe ich beim Patrick Pulsinger auf Cheap und bei einem US-Label herausgebracht. Ich kann mich selbst auch heute keinem Stil zuordnen. Ich gehe schon auf das Publikum ein, möchte mich vom Publikum aber nicht dirigieren lassen. Ich finde es spannend, wenn sich ein DJ nicht einschränkt. Ein zweistündiges Minimal-Techno-Set kann jeder Idiot auflegen – das ist nicht kreativ.

Sie haben von 2007 bis 2010 in New York gelebt.
Ja. New York war super. Ich habe Leute wie Scissor Sisters oder Debbie Harry kennengelernt. Wenn du dort in ein Kaffeehaus gehst, dann sitzt Bette Midler neben dir. In Wien kann dir das auch passieren, aber halt mit dem Dorfer.

Ist das Clubleben in Wien oder in New York liberaler?
Wien ist generell viel liberaler. Man darf vor dem Club mit der Bierdose stehen. In Wien benehmen sich die Leute viel hemmungsloser als in New York. Dort gibt es das nicht, dass jemand kotzend im Eck liegt oder herumtorkelt. Man gibt sich dort keine Blöße. Man muss dort die ganze Zeit spielen.

Wie haben Sie die Clubszene in Wien nach Ihrer Rückkehr aus New York wahrgenommen?
Ich habe das Gefühl, dass in Wien ein Trend festzustellen ist, dass die Leute musikalisch offener geworden sind. Früher war der Wiener tendenziell jemand, der eher darüber diskutiert hat, ob man zu einem Track tanzen kann, anstatt zu tanzen.

Die letzten über die Landesgrenzen relevanten österreichischen DJs waren wohl Kruder & Dorfmeister. Gibt es aktuell jemanden, der an den Erfolg anschließen könnte?
Kruder und Dorfmeister haben eine riesige Nadel in die Karte gesteckt. Die Qualität der Musik war hoch, und die beiden haben einen Trend gesetzt. Auch wenn ich persönlich die „Verloungisierung“ nicht so toll fand. Aktuell fällt mir auf, dass Wolfram international Wellen schlägt. Das finde ich super, weil er ein guter Typ ist und weil auch seine Musik nicht unbedingt das ist, was man aus Wien kennt. Nämlich das „auf der sicheren Seite und cool zu sein“. Er traut sich auch ein bisschen, trashy zu sein.

Welches Projekt verfolgen Sie derzeit?
Ich bin als Additional Producer für das neue Bunny-Lake-Album tätig, das im Februar 2012 erscheinen wird. Es wird zweifelsohne das bisher beste der Band. Das Engineering übernimmt Gareth Jones, der auch schon Depeche Mode oder etwa Nick Cave gemacht hat.

Sie legen ja aktuell wieder im Motto sowie in der Säulenhalle und auch bei 1990er-Jahre-Partys auf. Wie hoch ist der Nostalgiefaktor bei Letzteren?
Nostalgie ist da relativ wenig dabei. Ich fand in den 1990ern die deutschen Produktionen wie Culture Beat schrecklich und peinlich. Die Dance-Musik der 1990er ist ja schon schrecklich im ­Vergleich zu jener der 1980er-Jahre. Mittlerweile würde ich von einer Hassliebe zu den 1990ern sprechen.

Gibt es eine Lieblingsnummer aus dem Eurodance-Trash-Bereich?
Meine Lieblingsnummer wechselt total oft. Es gibt den sogenannten guten Eurodance, und dann gibt es den Dreck. Aber ja, ich muss fast mehr lachen, wenn ich „Cotton Eye“ spiele, als wenn ich „Mr. Vain“ spiele. Aber ich spiele schon beides. Da kenne ich keine Grenze, was die Hemmungslosigkeit betrifft.

TIPP

Create the Soundtrack to Your Life lautet der Titel des neuen Clubs. An Donnerstagen wird die Oswald-Haerdtl-Bar mit Italo- und Disco-Klängen beschallt, freitags mit French House. Jeden Samstag legen die DJs Bastillo & The First Lady OBT Mash­-ups und Remakes auf.

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