Gesundheit: Impfstopp an privaten Schulen

Gesundheit Impfstopp privaten Schulen
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Die katholischen Wiener Privatschulen bieten keine Impfungen mehr an - aus Angst vor Schmerzensgeldforderungen. Die Gesetzeslage ist undurchsichtig. Für Mittwoch ist ein Impfgipfel anberaumt.

Wien. „Diese Entscheidung ist ein Wahnsinn und unverantwortlich“, sagt Michael Kunze, Vorstand am Institut für Sozialmedizin der Medizinischen Universität Wien. „Sie könnte entsetzliche Folgen haben – wie eine Masernepidemie.“ Was den Sozialmediziner so empört? In Schulen der Erzdiözese Wien und der Vereinigung der Ordensschulen werden in diesem Semester keine Impfungen mehr für Schüler durchgeführt. Der Grund: Die Schulen haben Angst, bei einem Impfschaden für Schmerzengeld aufkommen zu müssen.

Rund 23.500 Kinder und Jugendliche von insgesamt 225.000 Schülern in Wien, also knapp mehr als jeder Zehnte, müssen sich dann vom Kinderarzt oder in Gesundheitsämtern impfen lassen. Das betrifft alle Impfungen vom siebten bis zum 15.Lebensjahr. Von Oktober bis Dezember herrscht in allen Impfstellen der MA15 Hochsaison: Rund 40.000 Impfungen werden durchgeführt.

„Die Schule ist ein wichtiger Ort, um präventive Maßnahmen zu ergreifen“, sagt Kunze. Für eine Impfung zum Gesundheitsamt zu gehen sei für Eltern und ihre Kinder ein zusätzlicher organisatorischer Aufwand. „Man kann ärztliches Tun nicht aus Angst vor einer Schadenersatzklage einstellen. Wieso bilden wir dann überhaupt noch Medizinstudenten aus?“

Auslöser für die Entscheidung der katholischen Privatschulen war ein Urteil im November. Das Land Steiermark muss einem Schüler Schmerzengeld in Höhe von 5000Euro zahlen, da er nach einer Schulimpfung eine Bluterkrankung erlitten hat. Der Schularzt hat nicht vollständig über mögliche Nebenwirkungen informiert. Das Land wehrt sich gegen den Rechtsspruch.

Prozess auch in Kärnten

Ein ähnlicher Fall in Kärnten ist nach fünf Jahren immer noch nicht abgeschlossen: 2004 hatte ein Zwölfjähriger eine Vorsorgeimpfung gegen Hepatitis B an einer Schule erhalten – danach erlitt er eine Entzündung der Sehnerven und verlor den größten Teil seiner Sehkraft. Die Eltern klagen, sie seien nicht über mögliche Nebenwirkungen aufgeklärt worden.

Durch diese Fälle wird vor allem den Privatschulen ein Graubereich bewusst: Wer kommt für Schäden nach einer Impfung an Schulen auf?

„Wir werden in diesem Semester mit Sicherheit keine Impfungen durchführen – das Risiko ist zu groß“, sagt Birgit Moser-Zoundjiekpon, Rechtsexpertin der Erzdiözese Wien. Dennoch könnte es noch vor Weihnachten eine Lösung geben: Am Mittwoch werden sich Vertreter der Ärztekammer und der Erzdiözese treffen, um einen Ausweg aus dem Impfdilemma zu finden. Ein Vorbild gibt es: In Vorarlberg übernimmt das Land die Haftung für Impfschäden.

Der Wiener Gesundheitsdienst stellt allen Schulen Impfstoffe zur Verfügung. Bei allen öffentlichen Schulen übernehmen Stadt beziehungsweise Bund die Verantwortung. Im Fall der katholischen Schulen ist es anders: Die MA15 ersucht sie lediglich, Impfungen durchzuführen.

Wie undurchsichtig die Gesetzeslage ist, zeigt sich im Gespräch mit Verantwortlichen – oder jenen, die es sein sollten. „Ich verstehe die Sorge der Privatschulen nicht ganz“, sagt Ursula Karnthaler, Leiterin des Fachbereichs Infektionsvorsorge der MA15. Denn Privatschulen würden private oder freiberufliche Ärzte holen. „Und diese haben ohnehin eine Haftpflichtversicherung. Außerdem schützt das Impfschadengesetz vor etwaigen Klagen. Schulen haben nichts zu befürchten – auch nicht Privatschulen.“

Widersprüchliche Auslegungen

Anderer Meinung ist Gudrun Weber, Schularztreferentin der Ärztekammer Wien: „Rechtlich ist es ein Unterschied, ob ein Arzt in der Ordination oder in einer öffentlichen Institution praktiziert.“ Die Versicherung decke die Arbeit in Schulen nicht ab. „Man kann von Schulärzten nicht verlangen, dass sie auch noch eine private Versicherung abschließen“, so Weber.

Wie oft sei es Interpretationssache, wer Auftrag und Verantwortung über Impfungen in Privatschulen übernehme. In jedem Fall sei die gesetzliche Lage sehr stark hinterfragt. Immerhin, ein Problem sei mittlerweile geklärt worden: „Eltern müssen im Fall einer Impfung einen Aufklärungsbogen unterschreiben“, sagt Schularztreferentin Weber. „Jede kleinste Nebenwirkung wird mitgeteilt.“

("Die Presse", Print-Ausgabe, 19.12.2011)

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