Slowenien: Wo die Vergangenheit der Zukunft im Wege steht

Reformstau. Nach dem überraschenden Sieg des linken Populisten Zoran Janković: Ist in dem tief gespaltenen Land überhaupt ein Neustart möglich?

Sieg der balkanischen Werte“ schrieb das slowenische Nachrichtenmagazin „Demokracija“ auf seiner Titelseite zum Ausgang der vorgezogenen Parlamentswahl vor zwei Wochen. Unterlegt war der Text mit einem Bild des Überraschungssiegers Zoran Janković beim Bieranstich.

Der Titel ist ein doppelter Sarkasmus: Slowenien hat sich nie als zum Balkan gehörig gefühlt und tut seit der Erringung der Unabhängigkeit so, als habe es nie zu Jugoslawien gehört und mit dem Kommunismus nie etwas zu tun gehabt. Was mit balkanischen „Werten“ gemeint ist, weiß jeder: Korruption und wirtschaftliche Ineffektivität, Nationalismus (der in Slowenien allerdings sorgsam versteckt wird), Selbstüberschätzung und eine typische Art, dem anderen jede Schlechtigkeit zuzutrauen.Dass Slowenien einmal mit diesen „balkanischen Werten“ in Verbindung gebracht werden würde, hätte sich vor ein paar Jahren noch niemand träumen lassen. Das Land hielt sich selbst für eine Art Musterland unter den postkommunistischen Ländern und wurde auch von der Außenwelt so behandelt. Es schien wirtschaftlich erfolgreich zu sein und wurde 2007 als erstes der Reformländer in die Eurozone aufgenommen.

Musterland hat Ruf verspielt

Diesen Ruf hat Slowenien aber inzwischen gründlich verspielt. Das wird gerade im Vergleich mit der Slowakei deutlich, die zu Beginn der marktwirtschaftlichen Transformation weit zurücklag, heute aber viel besser dasteht.

Dabei ist Slowenien in Wirklichkeit kein Reformland. Es ist das einzige der ehemals kommunistischen Länder, das nie eine formellen Bruch mit der Vergangenheit vollzogen hat, einen faktischen schon gar nicht. Nirgends außer in Rumänien sind die alten kommunistischen Seilschaften so ungebrochen einflussreich wie hier.

Sie kontrollieren die meisten Medien und die noch immer dominierende Staatswirtschaft. Slowenien genierte sich nicht einmal, das Bild eines kommunistischen Partisanenführers auf die Zwei-Euro-Münze zu prägen. In der Politik erscheinen immer wieder dieselben Namen in verschiedenen parteipolitischen Konstellationen.

Typisch für diese Rochaden ist die Vorgeschichte dieser Parlamentswahl. Nachdem die traditionellen Linksparteien in der Koalition um den Sozialdemokraten Borut Pahor total abgewirtschaftet und jede Glaubwürdigkeit verloren hatten, versuchte die Gruppe um den einstigen kommunistischen Parteichef und späteren Staatspräsidenten Milan Kučan das Vakuum mit neuen Parteien zu füllen. Mit durchschlagendem Erfolg.

Die von Janković geführte Liste „Slowenien Positiv“ trat zum ersten Mal an und wurde auf Anhieb stärkste Partei. Janković gilt als persönliche Wahl Kučans. Der Sohn einer slowenischen Mutter und eines serbischen Vaters war früher Manager der Kaufhauskette Mercator und ist jetzt Bürgermeister von Laibach. Seine Popularität in der Hauptstadt ist groß. Die Stimmen der rund 200.000 Serben im Land waren ihm auch sicher.

Janković gilt als „Macher“, wenngleich seine Taten für die Hauptstadt umstritten sind. Die meisten Rechnungen für das neue Stadion wurden nicht bezahlt, was viele private Firmen in den Konkurs getrieben hat. Dass seine beiden Söhne in dubiose Geschäfte verwickelt sind, störte die Wähler offensichtlich nicht.

Slowenien hat nie ernsthafte marktwirtschaftliche Reformen durchgeführt. Die Folgen werden nun in der Krise sichtbar: Slowenien hat heute mit 55 Prozent eine der höchsten Abgabenquoten der Welt, die Privatwirtschaft trägt nur die Hälfte zum Sozialprodukt bei, der Arbeitsmarkt ist streng reguliert, Privatisierungen verschleppen sich oder vollziehen sich im Dunstkreis der alten Lobbies. Ausländischen Investoren wird der Markteintritt schwer gemacht, die Banken sind zu zwei Dritteln in Staatsbesitz und leiden unter den faulen Krediten, die sie über politische Kanäle zu vergeben haben.

Das Desaster der Pahor-Jahre

Noch zur Jahrtausendwende waren 50 Prozent der Unternehmen im Staatseigentum – in der Tschechischen Republik und in der Slowakei waren es nur noch 25 Prozent. Eine Umstrukturierung der politisch gesteuerten gemeinwirtschaftlichen Unternehmen wurde unterlassen, während Überregulierung die Umstrukturierung privater Unternehmen behinderte.

Bereitwillig stellten die staatlichen Banken den slowenischen Oligarchen Kredite zur Verfügung, mit deren Hilfe sie das weitgestreute „soziale Eigentum“ in ihren Händen zentralisierten.

Wirtschaftlich waren die drei Jahre der Regierung Pahor ein Desaster. Die Staatsverschuldung hat sich seit 2008 fast verdoppelt. Produktivität und Wettbewerbsfähigkeit der slowenischen Unternehmen haben deutlich abgenommen, der krisenbedingte Wachstumseinbruch zählt im EU-Vergleich zu den höchsten.

Zur Zeit der vorhergehenden konservativen Regierung von Janez Janša hatte die Rating-Agentur Moody's das Ranking slowenischer Anleihen noch gehoben, jetzt wurde Slowenien wieder herabgestuft. Moody's vermutet, dass sich große Staatszuschüsse an die Banken nicht vermeiden lassen, was die Staatsschulden noch mehr in die Höhe treiben würde. Slowenien könnte bald auf der von Griechenland angeführten Problemliste der Eurozone landen.

Lieblingsfeind der Linken

Für die bürgerliche Opposition ist der Wahlausgang ein Unglück. Der Demokratischen Partei war ein sicherer Sieg vorausgesagt worden, nun ist der spröde Janša zum zweitenmal hintereinander in einer Wahl gescheitert. Janša, der seine Karriere im kommunistischen Jugendverband begann, dann als Dissident verfolgt wurde und schließlich eine Wandlung zum marktwirtschaftlich-liberalen Demokraten vollzog, ist der Lieblingsfeind der Linken. Das wohl auch deshalb, weil er die internen Mechanismen und Methoden dieser Machtzirkel zu gut kennt.

Die verschiedenen Parteien der Regierung Pahor würden nur durch den Hass auf Janša zusammengehalten, spottete die Zeitung „Vecer“ in Marburg einmal.

Am Versuch, Slowenien gründlich zu reformieren, war freilich auch Janša mit seiner konservativen Regierung von 2004 bis 2008 gescheitert. Eine tragfähige bürgerlich-konservative Regierungskonstellation ist jetzt nicht mehr zu sehen, selbst wenn die bürgerlich-liberale Liste Virant, die neu ins Parlament einzog, sich Janša zuwenden sollte. Gregor Virant war Minister unter Janša, er ist aber auch mit der Frau von Janković verwandt. Er hat sich alle Optionen offengehalten, seine Entscheidung werde von den „Bedingungen“ eines Koalitionsangebotes abhängen.

Veränderte Parteienlandschaft

Janković wird wenig Schwierigkeiten haben, solche Bedingungen zu erfüllen. Er hat seinerseits angekündigt, er werde versuchen, einzelne Abgeordnete der Rechten auf seine Seite zu ziehen. In seinen Methoden war er nie zimperlich. Es wäre also nicht überraschend, wenn dabei ganz diskret auch Geld fließen würde. Auch das wäre keine Neuigkeit in der nach- bzw. spätkommunistischen politischen Geschichte Sloweniens. Auch wenn die Parteienlandschaft bei dieser Wahl völlig umgekrempelt wurde, hat sich an der tiefen Spaltung des Landes nichts geändert.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 19.12.2011)

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