Minkowski zwingt Schubert vor die Linse

Minkowski zwingt Schubert Linse
Minkowski zwingt Schubert Linse(c) APA/NEUMAYR/MMV (NEUMAYR/MMV)
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Live eingespielter Symphonienzyklus im Wiener Konzerthaus: Der Auftakt der Konzertreihe brachte wenig Fesselndes.

„Keine Angst vor der Neunten!“, ruft es von den Plakaten herab: einer jener oft krausen Slogans, mit dem das Konzerthaus neuerdings wohl weitere Publikumsschichten erschließen möchte, das Stammpublikum dabei aber eher irritiert. Denn im Programmheft ist die „Große C-Dur-Symphonie“ korrekt als Achte bezeichnet, wie es seit bald 35 Jahren im Deutsch-Verzeichnis steht – und noch dazu beschränkt sich Marc Minkowski bei seinem dieser Tage im Wiener Konzerthaus für DVD und CD live eingespielten Schubert-Zyklus mit seinen Musiciens du Louvre Grenoble ohnehin auf die altbekannten siebeneinhalb Werke: Heute, Montag, erklingen zum Abschluss „Kleine“ und „Große“ C-Dur-Symphonie. Ausgespart bleiben wieder einmal grandiose Fragmente wie vor allem D 936a. Zugegeben, in diesen Fällen sind die spielbaren Fassungen von fremder Hand ergänzt (Gülke, Newbould) und als solche diskutabel, aber zur Kenntnis des Symphonikers Schubert doch unerlässlich.

Neues oder auch nur Fesselndes war am ersten Abend mit den Symphonien 1, 3 und 4 des 16- bis 19-Jährigen jedenfalls nicht zu erfahren, den Originalinstrumenten zum Trotz, die immerhin in für den Großen Konzerthaussaal passender Zahl eingesetzt waren (12 Primgeigen), aber etwa in den Bläsern mit leidigen Intonationstrübungen zu kämpfen hatten.

Hurtig abgespulte „Tragische“

Am problematischsten geriet die sogenannte „Tragische“, ohnehin eine der schwierigsten Symphonien, weil ihr etwas gewollt pompöses c-Moll-Pathos in den Ecksätzen mehrfach gleich um die nächste Ecke verschwindet und Leichtigkeit wie Leichtgewichtigkeit à la Rossini Platz macht. Um ein Beispiel vom anderen Ende des Interpretationsbogens zu wählen: Dem Werk durch Klangfülle und Intensität in breiten Tempi doch noch romantische (Überlebens-)Größe zu verleihen, wie das einst einem Carlo Maria Giulini immer wieder gelungen ist, kommt für Minkowski nicht infrage. Er ließ die Musik vor allem hurtig abschnurren – und kratzte nur im Andante merklich an der Oberfläche. Überzeugender wirkten die beiden D-Dur-Symphonien: Da war schon in der eingangs gespielten Ersten in der Coda des Stirnsatzes klar, dass die dramatisch-harschen Akzente wohl nach dem Vorbild von Beethovens Zweiter modelliert waren und der sanft wiegende Ländler des Trios Joseph Haydn an Volkstümlichkeit nicht nachstand. Gerade seinen vielfach erfrischenden Haydn-Lesarten konnte Minkowski hier jedoch nichts Gleichwertiges zur Seite stellen – auch wenn in der Dritten die Musiciens du Louvre endlich Kameras und Mikrofone zu vergessen schienen und lockerer, risikoreicher, mitreißender agierten.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 05.03.2012)

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