"Hunger Games": Die Tribute Hollywoods für die Jugend

(c) Elmo Movieworld/Kinowelt GmbH
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Die Kinoversion der Fantasy-Erfolgsbücher "Die Tribute von Panem – The Hunger Games" startet nächste Woche: Sie soll Harry Potter beerben, scheitert aber ambitioniert, trotz toller Darsteller.

Jetzt merkt man, was für Türen „Harry Potter“ eigentlich aufgestoßen hat: Die führen nicht nur in die Zauberwelt Hogwarts, sondern auch ins Reich der dunklen Jugendfantasien. Über Jahrzehnte hinweg wurde die junge Zielgruppe von der Filmindustrie als Haufen Spaßsuchender definiert, der schnell unterhalten und überwältigt werden will. Jede Verunsicherung wurde aus den Geschichten getilgt, geboten wurde eskapistische Kurzweil. Zauberlehrling Potter und, in geringerem Ausmaß, die Vampirseifenoper „Twilight“ haben in der jüngeren Vergangenheit hingegen beispielhaft vorgeführt, dass Jugendliche sich sehr wohl für ernsthafte und dunkle Stoffe begeistern. Die Kulturindustrie, allen voran der Literatur-, dicht gefolgt vom Filmbetrieb, hat die Zeichen der Zeit erkannt und wirbt jetzt nicht mehr um „Teenager“, sondern – wie dem Marketingsprech zu entnehmen ist – um „young adults“, also junge Erwachsene. Die neu definierte Zielgruppe braucht neu definierte Helden.


Opfergang als Gladiatorin. Oder Heldinnen, im Fall von Katniss Everdeen: Die resolute 16-Jährige lebt im totalitär regierten Reich Panem, das in zwölf Bezirke geteilt ist. Katniss kommt aus dem zwölften, wo man sich vorwiegend dem Kohleabbau widmet. Die Bewohner sind Teil des Lumpenproletariats, das die Aristokraten aus dem ersten Bezirk mit ihren wüst bemalten Gesichtern und kubistischen Frisuren regieren und kontrollieren. Um einen neuerlichen Bürgerkriegsausbruch zu verhindern und jede Form von Auflehnung im Keim zu ersticken, werden alljährlich „Hungerspiele“ in einer Freiluftarena abgehalten. Aus jedem Bezirk werden zwei junge Erwachsene zwischen zwölf und 18 Jahren ausgelost: Diese sogenannten Tribute müssen gegeneinander antreten, bis nur mehr einer am Leben ist. Katniss meldet sich freiwillig, um ihrer kleinen Schwester, die das Los traf, die Gladiatorenspiele zu ersparen. „Die Tribute von Panem – The Hunger Games“ folgt ihr auf ihrem Opfergang: Clint Eastwoods Stammkameramann Tom Stern hängt buchstäblich an ihrem Gesicht. Eine Myriade von Nahaufnahmen macht gleich zu Beginn dieses Millionenspektakels klar, dass Regisseur Gary Ross keine Distanzziehung zwischen seiner Hauptfigur und dem Publikum wünscht.

Wie aus dem Schützengraben gefilmt wirken die Bilder, verwackelt, rasant geschnitten: Sie sollen maximale Subjektivität produzieren. Das ästhetische Vorhaben gelingt, Empathie will sich dennoch nicht einstellen. Wohl weil Regisseur Gary Ross seine Großproduktion nicht als Spektakel anlegen will. Sogar der Einzug der neuen Gladiatoren in den Palast der Faschisten gibt sich selten Panoramen hin, sondern versucht, mit kleinteiligen Nahaufnahmen jeden Geruch nach Riefenstahl und Propagandabildern zu verunmöglichen. Auch die Führer wirken nicht wie machtgeile, moralfreie Unterdrücker, sondern wie römische Tribune und Cäsaren (ganz oben: der erhabene Donald Sutherland), die dem Hedonismus frönen: Die „Hungerspiele“ sind eine willkommene Abwechslung zum betäubenden Alltagsluxus.

Die Struktur der dystopischen Zukunftsgesellschaft wird im Film lediglich angerissen. Vielleicht weil er auf dem ersten der drei „Panem“-Romane von US-Autorin Suzanne Collins basiert: In den späteren Bänden gibt sie ihrer Welt mehr politische Substanz. In der Kinoversion müssen ein wenig Medien- und Systemkritik reichen, um den Heldinnenweg von Katniss zu rahmen. Verschmerzbar ist das vor allem, weil die erdige Jungschauspielerin Jennifer Lawrence (aus dem Psychodrama „Winter's Bone“) ihre Figur so fern wie nur irgend möglich von klassischen Mädchenfantasy-Stereotypen anlegt. Als harte Kriegerin schläft sie in Astgabeln und röstet selbst geschossene Eichkätzchen über dem Feuer. Während die erste Filmhälfte noch von der Konzentration auf Katniss profitiert, bewegt sich die Dramaturgie ausgerechnet nach dem Startschuss zu den „Hungerspielen“ im Leerlauf.


Introspektion statt Spannung. Regisseur Ross will den Überlebenskampf und das Schmieden vorsichtiger Allianzen in der Waldarena als extreme Variante eines Entwicklungsromans zeichnen. Statt Spannungsmomenten gibt es Introspektion, statt Action dominiert die Reaktion: auf Verfolger, auf hochgiftige Wespen, zuletzt sogar auf genetisch manipulierte Monsterhunde.

Dazu darf Hollywood-Komponist James Newton Howard gelegentlich zu Orchesterdonner anheben, bevor Gastmusiker T-Bone Burnett mit disharmonischen Geräuschkulissen durch Howards Hymnen fährt. „Die Tribute von Panem“ ist ein ambitionierter, aber letztlich gescheiterter Film: Als Gesellschaftskritik muss er sich Hollywoods Forderungen nach runden Ecken geschlagen geben und bleibt ohne Konsequenzen. Auch wenn das Siegerlachen am Ende ein gequältes ist. Als Jugendgeschichte wird der Stoff vom gewaltigen Dystopie-Überbau aufgerieben: Trotz all der Nahaufnahmen verliert man irgendwann unweigerlich das Gefühl für Katniss.

Übrig bleiben eine beeindruckende Riege von Nebendarstellern (darunter der immer göttliche Woody Harrelson) und eine außerordentliche Hauptdarstellerin, die sich für einen potenziell großartigen Stoff geopfert haben. Man kann sie auch die Tribute von Hollywood nennen.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 18.03.2012)

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