Brot und Spiele - Blut und Spiele

Menschenrechte sind in der Welt des Sports keine Kategorie. Wenn es um Millionen geht, dann fährt die Formel 1 auch in Bahrain. Oder die Ukraine trägt eine Fußball-EM aus.

Bei der Ankunft in Manama war von der Zerrissenheit des Landes wenig zu spüren. Die Flughafenmitarbeiter in der Hauptstadt des Inselkönigreichs Bahrain waren bemüht, nicht nur Sebastian Vettel, dem regierenden Formel-1-Champion, oder Michael Schumacher die Angst oder zumindest das mulmige Gefühl zu nehmen. Vettel äußerte keine großen Sicherheitsbedenken: „Die Strecke liegt im Niemandsland, man ist dort relativ sicher.“

Relativ. Denn Mitarbeiter von zwei Rennteams, Force India und Sauber, gerieten in den vergangenen Tagen in die Zusammenstöße von Demonstranten und der Polizei. Am Samstag war ein Demonstrant tot aufgefunden worden, wie die Polizei berichtet. Die Opposition hatte zu einer „Woche der Konfrontation“ aufgerufen, die Jugendgruppe der „Revolution vom 14.Februar“ zu „Tagen des Zorns“. Der Geschäftsführer des Bahrain International Circuit, Zayed Al Zayani, versuchte zu beruhigen: „Ich denke, es wird nichts Dramatisches passieren. Die Formel 1 ist kein Angriffsziel.“ Mag sein, aber der Grand Prix am Sonntag ist eine goldene Gelegenheit für die Opposition, ihre Anliegen an eine wirklich breite Öffentlichkeit zu bringen.

Tage des Zorns gab es auch 2011: Heftige Proteste der schiitischen Minderheit im Windschatten der Revolutionen von Tunesien und Ägypten wurden blutig niedergeschlagen, es gab Dutzende Tote. Bernie Ecclestone, der mächtige Boss der Motorsport-Königsklasse, ließ sich damals zu einer Absage des Grand Prix überreden. Der Konflikt schwelt weiter, doch heuer zeigte sich der Automobilsport-Weltverband (FIA) unbeeindruckt. Ecclestone legte die Scheuklappen an: „Wir mischen uns nicht in Politik oder Religion ein“.

Alte Streitfrage. Der Grand Prix von Bahrain schlitterte damit schnurstracks in eine jahrzehntealte Streitfrage: Soll, ja, darf man autokratische Regime mit der Abhaltung sportlicher Events belohnen? Ist es vertretbar, ihnen eine solche Bühne zu geben? Oder kann die Ausrichtung solcher Großereignisse eine Diktatur oder Autokratie gar zur Öffnung bewegen? Weil sich das Gastland der Weltöffentlichkeit ja nicht als Schurkenstaat präsentieren will. Und weil mit den vielen Gästen vielleicht auch frische Ideen ins Land kommen.

Erstmals und sehr eindeutig wurde die Frage in Berlin 1936 beantwortet. Hitler-Deutschland durfte die Olympischen Sommerspiele ausrichten, ein Jahr nach der Verabschiedung der „Nürnberger Rassengesetze“. Besonders in den USA wurde intensiv über einen Boykott debattiert, letztlich entschloss man sich zur Teilnahme. Dass Olympia ‘36 nur in irgendeiner Form zu einer Mäßigung des Regimes beigetragen hätte, wird wohl niemand behaupten.

1980, fast ein halbes Jahrhundert später, wurde dieselbe Frage wieder diskutiert: Austragungsort der Sommerspiele war das Moskau der bleiernen Breschnew-Ära. Diesmal gab es einen Boykott, und zwar von mehr Staaten, als 1936 in Berlin teilgenommen hatten! Fraglos eine Blamage für die Veranstalter; die Ostblockländer revanchierten sich 1984 mit einem Fernbleiben in Los Angeles. Schließlich, vor vier Jahren, Peking: die gleiche Situation, die gleichen Argumente. Soll sich ein Regime, das jede abweichende Meinung brutal unterdrückt, im Lichte der Olympischen Fackel sonnen dürfen? Es durfte. Die von manchen erhoffte Öffnung wurde vertagt.


„Eine Schande“. Die Debatte flammte mit dem Grand Prix von Bahrain wieder auf: „Dieses Rennen ist eine Schande!“, sagte der Präsident des lokalen Zentrums für Menschenrechte. Nabil Rajab ist einer der scharfen Kritiker, weil im Golf-Königreich die Formel 1 dröhnt, als wäre nichts passiert: „Die Formel 1 steht damit für einen Sport, der Diktaturen und repressive Regime unterstützt“, meinte er in der „FAZ“.

Konkret geht es diesmal um ein Land, dessen Bevölkerung zwar zu knapp 70 Prozent schiitisch ist, das aber von einer sunnitischen Dynastie beherrscht wird. Die Schiiten klagen über vielfältige Diskriminierung im Alltag. Als sie 2011 dagegen protestierten, gab es Tote. „Im Vergleich zu damals hat sich die Menschenrechtssituation leicht verbessert. Dennoch kommt es weiter zu Verhaftungen von Demonstranten, Kritikern und Oppositionellen. Mehrere Fälle von Folter sind bestätigt. In Bahrain werden weiterhin Menschenrechte verletzt“, sagt Wolfgang Grenz, Chef von Amnesty International Deutschland. Darum habe man eine Absage empfohlen. „Jetzt findet das Rennen statt. Das wirkt wie die Botschaft, dass in Bahrain alles in Ordnung ist“, sagt Grenz. Das sagt auch Zainab al-Khawaja, deren Vater vor lebenslanger Haft steht, weil er für seine Menschenrechte auf die Straße ging. „Die Regierung will die Formel 1 benutzen, um den Leuten zu sagen, es ist alles in Ordnung. Das ist es nicht!“

Die Reaktion von FIA-Präsident Jean Todt: „Wir sind nur am Sport interessiert, nicht an der Politik.“ Diese Haltung hat eine traurige Tradition. 1977 bis 1981 fuhr man Rennen in Argentinien, wo die Bevölkerung unter der Militärdiktatur litt. 1985 gastierte man im Apartheid-Staat Südafrika. Renault und Ligier boykottierten den Grand Prix. Niki Lauda traute sich damals, verhaltene Kritik zu äußern: „Ich will nicht politisieren, das steht mir nicht zu. Aber was hat die Formel 1 in einem Krisengebiet verloren, in dem es jeden Tag rundgehen kann?“, fragte er als Titelverteidiger. Die „FAZ“ schrieb damals: „Die Politik der Formel 1 dreht sich vor allem um Millionen. Egal, wo und auf welcher Straße sie liegen.“

Millionen liegen auch auf dem grünen Rasen, und so scheint der europäische Fußballverband Uefa keine Probleme damit zu haben, dass in der Ukraine – im Juni mit Polen Gastgeber der EM – seit Amtsantritt des moskau-freundlichen Präsidenten Viktor Janukowitsch vor zwei Jahren die Zeit zurückgedreht wird: zu den autoritären Tagen vor der Orangen Revolution.


Prozesswelle. Seither wurden die Spitzen der „orangen“ Vorgängerregierung mit Prozessen überzogen. Prominentestes Opfer dieses Polit-Fouls: Ex-Premierministerin Julia Timoschenko, die in einem von EU und USA als politisch eingestuften Prozess zu sieben Jahren Haft verurteilt wurde. Im Gefängnis wurden ihr trotz eines Bandscheibenleidens medizinische Hilfe verweigert. Der zweite Prozess gegen sie hat gerade begonnen. Die EU zog die Konsequenz und verweigerte Kiew das Assoziierungsabkommen.

In Deutschland, das sich besonders für Timoschenko einsetzte, tritt zwar keine Partei für einen Boykott ein. SPD-Sportsprecherin Dagmar Freitag sieht aber die Uefa in der Verantwortung, „die Stimme zu erheben“, wie sie gegenüber der „Welt“ sagte.

Nicht, dass die Uefa sich nicht betroffen gezeigt hätte – über die massenweise Tötung von Straßenhunden in der Ukraine. Als Kiew Ende 2011 die Tötungen verbot, hat das die Uefa auch gleich begrüßt. Freilich war es ihr Chef Michel Platini gewesen, der sich Monate zuvor bitter über die verwilderten Vierbeiner beklagt hatte. Platini sind noch andere Dinge ein Dorn im Auge, etwa die Explosion der Hotelpreise: „Es ist dumm, zuerst viele Investitionen zu tätigen und dann den Leuten sagen zu müssen, ihr könnt nicht kommen, weil Banditen und Gauner mit der Euro viel Geld verdienen wollen.“

("Die Presse", Print-Ausgabe, 22.04.2012)

Lesen Sie mehr zu diesen Themen:

Mehr erfahren

Außenpolitik

Songcontest als Bühne für den Präsidentenclan

Aserbaidschans autoritäre Regierung nützt das europäische Wettsingen im Mai als Propagandaplattform. Regimegegner weisen auf Folter und Unterdrückung hin.
Sebastian Vettel
Motorsport

Formel 1: Vettel holt sich Pole Position in Bahrain

Sebastian Vettel geht vom ersten Startplatz in den Grand Prix von Bahrain. Neben dem Red-Bull-Piloten steht WM-Leader Lewis Hamilton, Vettels Teamkollege Mark Webber sicherte sich Platz drei.
Motorsport

Formel 1, Bahrain und die westliche Doppelmoral

Die Opposition sollte Bernie Ecclestone und dem Formel-1-Zirkus dankbar sein: Die Protestbewegung in Bahrain ist zurück in den Schlagzeilen.
Anti-government protesters flash victory signs as they burn tires in Budaiya
Motorsport

Bahrain: König verspricht vor Grand Prix Reformen

In der Nacht vor dem Formel-1-Rennen kam es in dem Golfstaat zu schweren Ausschreitungen mit einem Todesopfer.

Dieser Browser wird nicht mehr unterstützt
Bitte wechseln Sie zu einem unterstützten Browser wie Chrome, Firefox, Safari oder Edge.