Operndiven: Wer ist die wahre Primadonna?

Operndiven wahre Primadonna
Operndiven wahre Primadonna(c) EPA (ARNE DEDERT)
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Anna Netrebko und Elīna Garanča, Waltraud Meier und Edīta Gruberová, Krassimira Stoyanova und Adrianne Pieczonka: Eine Betrachtung über die schon bei Mozart gestellte Frage nach der Hierarchie.

Die Netrebko! Aber irgendwie doch auch Waltraud Meier, die Hochdramatische, die so viel und schon über eine so lange Zeitspanne kann! Sie singt heute Abend wieder einmal die Santuzza („Cavalleria rusticana“) an der Staatsoper. Nächsten Sonntag gibt die Netrebko, begleitet von Daniel Barenboim, einen Liederabend im Goldenen Musikvereinssaal. In der Ära der weltumspannenden Flugverbindungen ist das Musikgeschäft zum Primadonnenzirkus geworden. Spielpläne von Konzert- und Opernhäusern werden rund um die Termine reisender Stars gebaut. In früheren Zeiten hatte jedes Theater seine Primadonna. Heute gibt eine Grande Dame der anderen die Klinke in die Hand.

Wer wollte eine Hierarchie für die Programmlisten des weltumspannenden Musikbusiness erstellen? Wer wäre die Erste der Ersten? „Ich wär so gern Primadonna gewesen“, so lautet der Titel der Memoiren von Christa Ludwig. Eine Koketterie sondergleichen, denn selbstverständlich war die Ludwig eine Primadonna. Auch wenn sie als Mezzosopran nur einige wichtige dramatische Partien der höheren Stimmlage übernehmen konnte. Immerhin war sie die „Fidelio“-Leonore oder die Lady Macbeth. Aber nicht nur dann, sondern wann immer sie auf der Bühne erschien, dominierte sie.

Da gab es den – im Verhältnis zur Gesamtlänge des Dramas vergleichsweise kurzen – Auftritt in Wagners „Walküre“. Wenn diese Fricka zu singen anhob, wusste das Publikum, dass jetzt nicht nur Wotans ehrgeizige Träume ins Wanken geraten würden. Das Schicksal der Welt stand auf dem Spiel!


Kulman – Applaus für die Nebenrolle. Die Fallhöhe einer Tragödie auszuloten, das kommt wohl der Primadonna zu. In diesem Sinne dürfte beispielsweise auch eine Sängerin wie Elisabeth Kulman den Ehrentitel für sich beanspruchen, die vor einiger Zeit mit ihrem Fricka-Debüt eine ähnliche Intensität von Darstellung und vokaler Präsenz erreichte wie das große Vorbild.

Aufmerksamen Beobachtern und Hörern war das junge Mitglied des Staatsopernensembles schon in der via TV über den Globus verbreiteten Premiere von Donizettis „Anna Bolena“ aufgefallen. Da war es der Kulman gelungen, eine Nebenrolle neben den dominanten Persönlichkeiten von Anna Netrebko und Elīna Garanča so aufzuwerten, dass das Publikum sogar Applaus spendete, obwohl die Szene musikalisch gar keinen „Applausschluss“ aufweist, sondern die Entwicklung nahtlos weitergeht.

Das erinnerte – selten genug passiert es heutzutage – an Zeiten, in denen spontane Beifallskundgebungen noch nicht als unstatthaft galten, sondern als verdienter Lohn für stupende Leistungen. Diese wollen im Moment bedankt sein, nicht erst hinterher vor dem Schlussvorhang.


Wer das Schlussrondo hat, siegt. Der Komponist kann freilich entscheiden, wer die erste Geige spielt. Donizetti lässt auch dort, wo er zwei prägende Figuren dramaturgisch gegeneinander ausspielt (erinnern wir uns an den Nahkampf zwischen Mara Zampieri und Agnes Baltsa in „Maria Stuarda“), meist keinen Zweifel daran, wem der Primadonnenstatus zukommt. Wer das Schlussrondo hat, siegt. Die Frage, wer den Zweikampf der schönen Stimmen gewinnen würde, stellte sich bei „Anna Bolena“ jedenfalls nicht.

Und es ist von sanfter Ironie, wenn ein Meister wie Richard Strauss in seiner „Ariadne“, dem bezaubernden Abgesang auf die barocke Operntradition, nicht nur Buffa und Seria miteinander vermischt, sondern auch der Zerbinetta – als Anführerin der Commedia-dell'arte-Einlagen – eine Bravourarie mit virtuoser Stretta zugesteht, während er der eigentlichen „Primadonna Ariadne“, wie sie im „Vorspiel“ von Textdichter Hofmannsthal auch genannt wird, im symphonischen Fluss seiner Musik nicht die geringste Chance für einen Zwischenapplaus gibt.

Mit der Zerbinetta-Arie können Karrieren beginnen. So war es bei Edīta Gruberová, von der wir wussten, was sie kann, weil sie als junges Ensemblemitglied aus Pressburg von der Königin der Nacht bis zu Rossinis Rosina – und unter anderem ja auch die Zerbinetta – schon alles gesungen hatte. Aber als die Premiere der jetzt eben erst außer Dienst gestellten Filippo-Sanjust-Inszenierung im Radio übertragen wurde, konnten Zigtausende von Opernfreunden live mitverfolgen, wie das Publikum nach der virtuosen Verflechtung der Tönegirlanden außer sich geriet.

Die Vorstellung war damals für Minuten durch einen Beifallsorkan unterbrochen. Übrigens war das im Jahr darauf auch nach der im Vergleich dazu geradezu unscheinbaren Cavatine des Cherubin in der von Herbert von Karajan dirigierten „Figaro“-Premiere der Fall: Da galt die Zuneigung des Publikums dem schönen Mezzo von Frederica von Stade. Ohne dass das Folgen für die Wiener Operngeschichte gehabt hätte.

Von Stade trat kaum je wieder in Wien auf. Die Gruberová aber wurde zur Ikone. Der damalige Direktor, Egon Seefehlner, änderte nach dem Sensationserfolg sogar den Spielplan für die folgende Saison und setzte für das Koloraturwunder Donizettis „Lucia di Lammermoor“ an, eine Oper, mit der die Künstlerin dann alle Aufführungsrekorde brechen sollte. Nach den Wünschen der Gruberová werden seither nicht nur Premieren, sondern – siehe kommende Spielzeit! – auch Tourneepläne ausgerichtet.


Temperament versus Artistik. Zynismus der Geschichte: „Lucia di Lammermoor“ galt damals geradezu als unaufführbar. Im Jahr des Gruberová-Durchbruchs starb Maria Callas, eine Gestalterin, für die man den Begriff „Primadonna assoluta“ erfand, weil sie wie tatsächlich keine andere eine Repertoirebreite abdecken konnte, die von Rossini bis zu Wagner reichte.

Primadonnen in unseren Tagen sind nicht unbedingt von solchem Zuschnitt, wenn auch Anna Netrebko eine gewisse Unverwüstlichkeit eigen ist, die etwa einer zerbrechlicheren Gestalt wie Renée Fleming abgeht: Hier prallen Gegensätze aufeinander, das Bühnentemperament der einen gegen die distinguierte Vokalartistik und darstellerische Noblesse der anderen. Man fühlt sich an den seinerzeit so gern beschworenen Antagonismus zwischen der Callas und Renata Tebaldi erinnert, für die Karikaturisten war die eine die Tigerin, die andere die Taube.


Italianità als Vorbedingung. Den Titel Primadonna gab man beiden, wo immer sie erschienen, ganz selbstverständlich. Während man ihn mit einer ebenso prägenden, zu gewaltigen Steigerungen im hochdramatischen Fach fähigen Künstlerin wie Birgit Nilsson nicht unbedingt verband. Sie war Brünnhilde und Isolde. Keine „Wagner-Primadonna“.

Italianità scheint also eine gewisse Vorbedingung für die sozusagen natürliche „Berufszuschreibung“ zu sein.

Ganz selbstverständlich schien die Sache noch zu Mozarts Zeiten. Doch unterminierte das Genie zuweilen bereits das damals noch fest stehende hierarchische Gerüst. Als er anlässlich der Wiener Erstaufführung seines in Prag triumphal aus der Taufe gehobenen „Don Giovanni“ zwei gleichwertige Sängerinnen zur Verfügung hatte, komponierte er für Donna Elvira eine Bravourarie und platzierte sie in unmittelbarer Nachbarschaft von Donna Annas großem Rondo, das bewusst als Höhepunkt knapp vor dem Finale seinen damals traditionellen Platz hatte.

Das ist sozusagen die Nutzanwendung jenes Primadonnenscharmützels („Ich bin die erste Sängerin“), das kurz zuvor in der Schönbrunner Orangerie unter dem Titel „Der Schauspieldirektor“ eine hinreißende Karikatur der Theaterverhältnisse präsentiert.

Seither wird das Epitheton sozusagen frei vergeben, wenn eine Sängerin gerade eine theatralisch wie vokal spezielle Leistung erbracht hat. Wobei das Schwergewicht gern aufs Vokale gelegt wird, denken wir nur – weil sie am 16.Mai wieder einmal in Mariazell gastiert – an die imposanten Auftritte der Jessye Norman, deren Künstlerleben ganz so organisiert war und ist, wie man sich das einer Diva vorstellt.

Das Nämliche gilt auch für Cecilia Bartoli, demnächst Salzburger Pfingst-Festspielintendantin, deren Koloraturfeuerwerke so wenig wie die mächtigen Stimmwogen der Norman die Frage aufkommen lassen, ob eine an sich aus dem Mezzoregister herauswachsende Stimme Sopran genannt werden soll oder nicht. Violeta Urmana ist so ein Fall, bei dem die „Primadonnen“-Gelüste, die Christa Ludwig meint, zur Überschreitung der eigentlichen Stimmgrenzen führt. Das geht nicht immer gut. Manchmal aber führt es zu glücklichen Zugewinnen für die Annalen der Interpretationsgeschichte. Waltraud Meier – wer hätte zu prophezeien gewagt, dass aus dem Abenteuer Kundry eine dauerhafte Isolden-Karriere erwachsen würde und sich die Sängerin in Partien wie der Sieglinde Primadonnenstatus ersingen würde?

Die Stoyanova, wie einst die Freni. Gegenüber diesen Grenzgängerinnen stehen behutsamere Zeitgenossinnen doch immer wieder auf dem Ruhmessockel. Wie einst Mirella Freni darf auch Krassimira Stoyanova als eine allererste Künstlerin gelten, die jeden Opernabend veredelt, weil Schönheit des Timbres und vollkommene Beherrschung der Gesangskunst eine wunderbare Verschmelzung erfahren (morgen, Montag, auch „konzertant“ im Musikverein!). Allein die laufende Spielzeit der Wiener Staatsoper hat uns manches Hörerlebnis beschert, das die Zuweisung des Primadonnentitels rechtfertigen würde. Adrianne Pieczonkas „Frau ohne Schatten“ gehört hierher. Die Partie der Kaiserin kann vollkommener nicht gesungen werden.

Auch die Universalität einer Nina Stemme ist zu würdigen. Nebst Puccinis „Tosca“ gelang ihr jüngst auch eine bemerkenswerte Charakterstudie der Marschallin in Strauss' „Rosenkavalier“. Wenige Monate zuvor war in dieser Rolle auch Anja Harteros zu erleben – Prachtstimme und kluge Gestaltung vereinend.


Kriterium: das ausverkaufte Haus. Um den Platz an der Spitze zu erringen und zu behaupten, braucht es wohl auch Selbstkritik und die Kunst, rechtzeitig Nein zu sagen, mögen die Angebote auch noch so verlockend sein. Dass Angela Denoke dieser Tage beschlossen hat, trotz umjubelter Auftritte in mancher dramatischen Partie, die Brünnhilde im nächsten Bayreuther Festspiel-„Ring“ doch nicht zu singen, dürfte zur Verlängerung ihrer Karriere beitragen – und doch wird man ihr den Platz auf dem Primadonnenpodest weiterhin nicht verwehren. Womit wir wieder bei Christa Ludwig wären, die natürlich eine Primadonna war, obwohl sie die Isolde, die ihr von Maestri wie Karajan, Bernstein und Böhm angeboten wurde, am Ende doch nicht sang.

Wer ist also die wahre Primadonna? Wir dürfen die Frage mit einem abgewandelten Spruch Giuseppe Verdis beantworten: Immer die, die gerade für ein ausverkauftes Haus sorgt...

("Die Presse", Print-Ausgabe, 29.04.2012)

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