Jede Regierung hat das Volk, das sie verdient

Gern wird vom Bürger nach Reformen gerufen. Doch wehe sie würden gemacht. Wobei Reform noch kein Wert an sich ist – siehe die Privatisierungen à la KHG.

Der britische Historiker Niall Ferguson wirft in seinem Buch „Der Westen und der Rest der Welt“ die Frage auf, ob der Westen seine Vormachtstellung wieder an China verlieren könnte. Ja, wieder. Denn während Europa vor rund 500 Jahren mit innovativen Reformen in Wirtschaft, Politik und Religion seinen Aufstieg antrat, war das bis dahin dominierende China in seinem Wohlstand erstarrt.

Laut einer aktuellen Umfrage des Imas-Instituts sind die Österreicher (und wahrscheinlich nicht nur diese) die Ming-Chinesen von heute. Sie sind mit der Wohlstandssituation in Österreich überaus zufrieden – nicht zu Unrecht übrigens – und sehen wenig Veranlassung, Veränderungen vorzunehmen.

Dieser mangelnde Reformwillen, den sie gern der Politik vorhalten, jedoch anscheinend selbst leben, könnte sich als trügerisch erweisen. Denn die internationale Wettbewerbsgesellschaft nimmt auf unser aktuelles Wohlbefinden wenig Rücksicht. Mit diesem könnte es schneller vorbei sein, als es uns lieb ist.

In der Schüssel-Ära war das Lampedusa-Zitat „Wenn wir wollen, dass alles bleibt, wie es ist, dann ist es nötig, dass alles sich verändert“ sehr beliebt (es gab 1995 sogar einen daran angelehnten ÖVP-Plakatslogan – „Wer Gutes bewahren will, muss manches ändern“). Es ist deswegen nicht falsch. Und gerade Wolfgang Schüssel hat erfahren, dass, wenn man Reformen dann wirklich angeht, nach denen in den Jahren zuvor angeblich alle gelechzt haben, man nicht mit dem ungeteilten Applaus des Publikums rechnen darf. Ganz im Gegenteil.

Man wird Imas-Direktor Andreas Kirschhofer nicht widersprechen können, wenn er meint: „Der Vorwurf der Wähler an die Politik, keine Reformen zu bewirken, korrespondiert mit dem unterschwelligen Wunsch, eigentlich gar keine Veränderungen zu wollen.“ Diese These wird auch von anderen empirischen Daten aus der unmittelbaren Vergangenheit gestützt. So finden 69 Prozent der Österreicher den Begriff „Sicherheit“ sympathisch, 48 Prozent mögen das Wort „Stabilität“, aber nur 20Prozent gefällt der Begriff „Reform“.

Wobei Reform noch kein Wert an sich ist. Es kommt darauf an, das Richtige zu reformieren. Und das Richtige richtig zu tun. Und da wären wir wieder bei der Ära Schüssel. Es war beispielsweise richtig, die Buwog zu privatisieren. Doch wenn man den Aussagen des früheren Kabinettschefs von Karl-Heinz Grasser, Heinrich Traumüller, im U-Ausschuss glauben darf, dann hat der ehemalige Finanzminister dabei tatsächlich jene dubiose Rolle gespielt, die ihm immer wieder zugeschrieben wird.

Demnach soll Grasser die Höhe der Anbote der Immofinanz und der CA Immo gewusst haben. Grasser ließ dann eine zweite Vergaberunde einläuten – und siehe da: Die Immofinanz bot um eine Million mehr als die Konkurrenz. Den Tipp will Immofinanz-Chef Karl Petrikovics von Peter Hochegger bekommen haben, dieser hatte ihn von Walter Meischberger. Und woher hatte er ihn? Er hätte ihn von seinem (damaligen) Spezi Karl-Heinz Grasser haben können. Dieser wusste, wie wir nun wissen, jedenfalls die Höhe der Anbote.

Und schon haben wir jenes Skandalsumpfimage, das auch in der Imas-Studie ausgewiesen wird. Auch das gehört zur Bilanz eines Reformkanzlers.

Dennoch: Ein großer Teil der Reformen war richtig, um das Land wettbewerbsfähig zu halten. Und es werden weitere nötig sein. Ob der mangelnde Reformwillen der nachfolgenden Regierungen auf die Bevölkerung abgefärbt hat oder ob es umgekehrt ist, ist empirisch noch nicht erhoben. Es spricht aber einiges dafür, dass das Hand in Hand geht. Wobei es die ureigenste Aufgabe der Politik wäre, hier voranzugehen. Auch wenn man dann möglicherweise vom Wähler abgestraft wird. Aber die beiden derzeitigen Regierungsparteien werden das sowieso.

Niall Ferguson schließt in seinem Buch übrigens zuversichtlich: „Trotzdem offeriert dieses westliche Gesamtpaket immer noch das beste gegenwärtig erhältliche Angebot an wirtschaftlichen, gesellschaftlichen und politischen Institutionen...“ Österreich sollte darauf achten, dass es da dranbleibt.

E-Mails an: oliver.pink@diepresse.com

("Die Presse", Print-Ausgabe, 30.04.2012)

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