Krank nach Impfung: Kein Schadenersatz

(c) Vinzenz Schüller
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Obwohl Eltern nicht über Nebenwirkungen einer Impfung informiert wurden, gibt es kein Schmerzengeld. Denn auch im Wissen um die Gefahr hätten sie der Impfung zugestimmt, meint der OGH.

Wien. Der Oberste Gerichtshof korrigiert in einer aktuellen Entscheidung die Vorinstanz, die einem Schulkind 5000Euro Schmerzengeld zusprechen wollte. Im Mittelpunkt stand die Frage, wie es sich rechtlich verhält, wenn man nach einer Impfung unter Nebenwirkungen leidet, die höchst selten auftreten, aber über die man auch nie informiert wurde.

Als der Bub im Alter von 17 Monaten zum ersten Mal gegen Mumps, Masern und Röteln geimpft wurde, ging noch alles gut. Es gab keinerlei Komplikationen. Als Jahre später im Rahmen einer „Schulimpfaktion“ die zweite Teilimpfung anstand, hatte dies aber Folgen. Zehn Tage nach der Impfung wurde beim Buben eine akute „Immunthrombozytopenie Purpura“ (ITP) festgestellt, eine Autoimmunkrankheit, die die Blutplättchen betrifft. 14 Tage musste der Bub das Bett hüten, zwei Monate konnte er die Schule nicht besuchen. Und erst nach drei Monaten konnte der Bub wieder ohne Einschränkungen durchs Leben gehen. Von der Krankheit ITP war bei den Informationen, die die Eltern vor der Impfung von der Bezirkshauptmannschaft erhalten hatten, aber keine Rede gewesen. In den schriftlichen Hinweisen waren nur die positiven Wirkungen der Impfung erwähnt worden. So wurde erklärt, welche Folgen es hat, wenn man sich nicht impfen lässt und daher an Masern, Mumps oder Röteln erkrankt. In solchen Fällen drohen etwa Lungen-, Gehirn- und Mittelohrentzündungen oder auch Unfruchtbarkeit.

Die Eltern betonten vor Gericht, sie hätten nur wegen des einseitig gehaltenen Informationsblatts die Zustimmung zur Impfung des Kindes gegeben. Das Land Steiermark, dessen Organe verantwortlich für die Impfaktion waren, solle daher 7000 Euro Schmerzengeld an den Buben zahlen. Das Land wandte ein, die Erkrankung sei nicht auf die Impfung zurückzuführen – und falls doch, dann war alles nur ein „unvorhersehbarer schicksalhafter Verlauf“. Überdies müsse man über mögliche Nebenwirkungen nicht aufklären, wenn die Schäden nur in äußerst seltenen Fällen auftreten. Denn die Eltern hätten auch mit diesem Wissen der Impfung zugestimmt.

Das Bezirksgericht Graz-Ost schloss sich der Meinung des Landes Steiermark an und urteilte gegen den Buben. Denn die Wahrscheinlichkeit, nach der ersten Teilimpfung an ITP zu erkranken, betrage bereits nur zwischen 1:40.000 und 1:22.300. Hier aber sei die Krankheit sogar erst nach der zweiten Teilimpfung ausgebrochen und dafür sei die Wahrscheinlichkeit noch einmal um 97 Prozent geringer. Wenn man nun bedenke, welch großen Nutzen die Impfung bringe, mache es nichts, wenn die Aufklärung bezüglich ITP gefehlt habe. Ein „verständiger Patient“ hätte sich dann nämlich trotzdem impfen lassen.

Der Bub bzw. seine Eltern gingen in Berufung – und tatsächlich sah das Grazer Landesgericht für Zivilrechtssachen die Causa anders. So habe das Gutachten des Sachverständigen eindeutig ergeben, dass die Krankheit durch die Impfung ausgelöst wurde. Und gerade bei nicht dringlichen medizinischen Maßnahmen wie dieser Impfung müsse man auch eine Aufklärung über seltene Nebenwirkungen verlangen, meinte das Landesgericht. Den Eltern aber habe das Informationsblatt weisgemacht, dass die Impfung völlig ungefährlich sei. Und da das Land Steiermark nicht beweisen könne, dass die Eltern auch beim Wissen um die Gefahren der Impfung zugestimmt hätten, müsse es 5000 Euro Schadenersatz bezahlen.

Der Oberste Gerichtshof (1 Ob 14/12h) entschied dann aber wieder gegen das Kind und seine Eltern. Man dürfe bei der Aufklärungspflicht nämlich nicht darauf abstellen, ob der konkrete Patient die ärztliche Maßnahme verweigert hätte, wenn er komplett informiert worden wäre.

Konkreter Patient irrelevant

Vielmehr müsse man danach urteilen, was ein „verständiger Patient“ gemacht hätte. Und dieser hätte sich die Impfung auf jeden Fall verabreichen lassen, meinten die Höchstrichter. Denn die Vorteile eines Impfschutzes gegen Masern, Mumps und Röteln seien allgemein bekannt. Und dem stehe die höchst geringe Wahrscheinlichkeit gegenüber, an ITP zu erkranken, die einen vernünftigen Menschen nicht von der Impfung abgehalten hätte. Der Bub erhält also keinen Schadenersatz.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 14.05.2012)

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