Essay: Der Stachel schmerzt, das macht uns stark

Die Presse
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Irritation treibt den Fortschritt an, hin zu mehr Wissen und Menschlichkeit. Aber noch nie gab es eine so breite Koalition von Denkfaulen, die jeden lästigen Zweifel ausschalten wollen. Kann die widerständige Kunst Abhilfe schaffen?

Dieser Darius muss ein weiser Mann mit einem seltsamen Humor gewesen sein. Wovon diese kleine Geschichte zeugt: Einmal fragte der große König im alten Persien die Griechen an seinem Hof, um welchen Preis sie ihre toten Väter essen würden. Um keinen Preis, nie und nimmer, antworteten diese schockiert. Da rief der König Abgesandte eines indischen Volkes herbei, bei denen der Verzehr verstorbener Väter als ganz gewöhnlicher Brauch galt. Von ihnen wollte er wissen, unter welchen Umständen sie bereit wären, ihre Leichen zu verbrennen – wie es damals in Griechenland üblich war. Und siehe da: Das Entsetzen der Inder über eine solch lästerliche Idee war noch heftiger.

„Die Sitte ist unser aller Herr“, lautet das Fazit von Herodot. Er überlieferte uns die Anekdote. Wollte der Vater der Geschichtsschreibung seine Leser nur Respekt vor anderen Kulturen lehren? Es ging wohl um mehr, um weit Radikaleres: Er konfrontierte sie mit dem völlig Fremden, das tiefste Überzeugungen ins Wanken bringt.

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