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Die Demokratie und andere brennende Fragen

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Eine multimediale Bildinstallation soll die Chronologie von 1918 bis 2018 beleuchten und die neue Institution prägen.VON BARBARA PETSCH

Direktorin Monika Sommer kündigt an, dass Jugendliche nach Ihren Wünschen gefragt werden und so eine multimediale und interaktive Begegnung mit Geschichte entstehen kann.

Wie wird das Haus der Geschichte Österreich gestaltet?
Monika Sommer: Die Ausstellung zu hundert Jahren Republik Österreich wird als inhaltliche Leitlinie das Thema Demokratieentwicklung, ihre Transformationen und Brüche haben. Das ist eine brennende Frage der Gegenwart! Eine multimedial organisierte Bildinstallation wird eine Chronologie von 1918 bis 2018 bieten, sie war nicht zuletzt ein Wunsch von vielen Pädagogen. Ihr gegenüber werden wir mit spannenden dreidimensionalen Objekten aktuelle Fragen bearbeiten, wie zum Beispiel „Wie gegenwärtig ist Geschichte?“ oder „Wie wurden österreichische Identitäten gefestigt?“. Das Haus der Geschichte Österreich ist im Museumsgesetz als Diskussionsforum definiert, was uns freut, denn das ist ein lebendiger Museumsbegriff, der nichts mehr mit dem Anspruch auf Deutungsmacht der Nationalmuseumskonzepte des 19. Jahrhunderts zu tun hat. In einem modernen, hellen Ambiente wollen wir allen, die sich für Österreich interessieren, Diskussionsangebote zu seiner Geschichte, Gegenwart und Zukunft machen.

Inwiefern unterscheidet sich das Haus der Geschichte Österreich von früheren Museen?
Das Haus der Geschichte Österreich ist im Museumsgesetz als Diskussionsforum definiert, was uns freut, denn das ist ein lebendiger Museumsbegriff, der nichts mehr mit dem Anspruch auf Deutungsmacht der Nationalmuseumskonzepte des 19. Jahrhunderts zu tun hat.


Welche Exponate zeigen Sie?
Wir arbeiten mit einem breiten Mix an kulturhistorischen Artefakten, Dokumenten und Medien. Uns interessieren Objekte, die sehr spezifisch für bestimmte Aspekte der Geschichte stehen. Elementar sind sogenannte Ego-Dokumente, also Hinterlassenschaften, die individuelle Erfahrungen bezeugen. Das gilt für die Ausstellung zu hundert Jahren Republik ebenso wie für die Sammlungsstrategie und -tätigkeit. Dabei denken wir vernetzt und arbeiten mit den Landesmuseen zusammen, die uns dankenswerterweise tatkräftig unterstützen. Es ist mir wichtig, dass wir ein Museum für ganz Österreich sind und ein zukunftsorientierter Speicher seines kulturellen Gedächtnisses.

Das Haus der Geschichte befasst sich nicht mit den Habsburgern?
Das würde ich so nicht unterschreiben! Die Geschichte Österreichs ohne das ethnisch, sprachlich und kulturell so reiche Habsburgerreich, das Österreichs Identität bis heute mitprägt, zu denken wäre absurd und nicht zu begründen. Die bürgerliche Revolution von 1848 ist ein wichtiges Thema, und zu Ende des 19. Jahrhunderts formte sich auch die demokratische Parteienlandschaft. Eine Ausstellung zu 100 Jahren Republik und Demokratie kann auf Aspekte der österreichischen und europäischen Vorgeschichte nicht verzichten.

Wie steht es mit der Finanzierung des Hauses der Geschichte Österreich?
Die längerfristige Zukunft des Hauses der Geschichte Österreich ist offen. Bundesminister Drozda hat für 2018 zwei Millionen und für 2019 eine Million Euro mündlich zugesagt, davon wird derzeit ausgegangen. Weiteres wird die neue Regierung entscheiden. Ich bin zutiefst davon überzeugt, dass Österreich einen Ort braucht, um sich aus der Perspektive der Gegenwart mit seiner jüngeren und jüngsten Vergangenheit auseinanderzusetzen und auf dieser Grundlage Zukunftsfragen zu verhandeln.

Gibt es denn ein so großes Interesse an Geschichte?
Auf jeden Fall! Das zeigen beispielsweise die Besucherzahlen des Deutschen Historischen Museums in Berlin und des Hauses der Geschichte in Bonn, auch das heuer im Mai eröffnete Haus der Europäischen Geschichte in Brüssel ist sehr gut angelaufen. Nicht zu vergessen das 2016 eröffnete National Museum of African American History and Culture in Washington D. C. Darüber hinaus sind andere Formate der Geschichtsvermittlung wie zum Beispiel Dokumentationen sehr beliebt!

In Sankt Pölten wurde im September das Haus der Geschichte Niederösterreich eingeweiht. Wird es da nicht Rivalitäten geben?
Heuer hat in der Steiermark auch das Museum für Geschichte am Universalmuseum Joanneum eröffnet und Häuser wie das Wien Museum oder das Vorarlberg Museum leisten seit Jahren wichtige Arbeit, letzteres hat einen tollen Neubau erhalten – das ist ein klares Bekenntnis zur Bedeutung des kulturellen Erbes der Region. Das Haus der Geschichte Österreich versteht sich hier auch als neuer Knotenpunkt der Vernetzung. Es ist großartig, wenn es viele Angebote der Geschichtsvermittlung gibt – darüber freue mich.

Kann man mit Häusern der Geschichte Demokratiebewusstsein fördern?
Davon bin ich überzeugt. Bei unserer Jubiläumsausstellung zu hundert Jahren Republik wird der Fokus vor allem auf Demokratiegeschichte, ihre Transformationen und ihre Brüche gelegt. Wir möchten vermitteln, dass Demokratie und Wahlrecht erkämpft wurden und der Prozess der Demokratieentwicklung nie zu Ende ist. Demokratie wird jeden Tag in verschiedenen Zusammenhängen neu verhandelt, und es wird auch zukünftig immer wieder neue Herausforderungen geben, auf die wir innovative, demokratische Antworten finden müssen.

Bei der Jugend gibt es viel Demokratieverdrossenheit.
Das ergeben manche Umfragen und gleichzeitig ist die Wahlbeteiligung zuletzt wieder gestiegen. Fest steht, das Bewusstsein für Politik und Demokratie ist bei jungen Leuten wieder stärker zu verankern – da sind neben den Bildungseinrichtungen wir alle gefordert. Das Haus der Geschichte versteht sich auch als Ort der Stärkung des Bewusstseins für den Wert von Demokratie und Menschenrechten.

Was bieten Sie Jugendlichen im Haus der Geschichte Österreich?
Zuerst einmal lernen wir von den Jugendlichen. Wir arbeiten gerade mit Peergroups zusammen und wollen wissen, was die jungen Leute interessiert. Diese Erkenntnisse fließen in die Ausstellungskonzeption ein. Wir entwickeln viele Programme und hoffen auf regen Zuspruch – auch aus den anderen Bundesländern. Auch die intergenerationelle Geschichtsvermittlung ist uns wichtig. Museen sind Wissensknotenpunkte und soziale Orte – sie können Begegnungen schaffen, die sonst nicht stattfinden würden. Das Haus der Geschichte Österreich soll ein gastfreundlicher Ort sein. Ich verwende gern den Begriff „Hospitality“ aus dem angloamerikanischen Raum. Das Museum rückt ab von seiner früheren Deutungsmacht. Es stellt Beziehungen her und ermöglicht Begegnungen auf Augenhöhe. Es interessiert sich auch für das, was Besucherinnen und Besucher an Wissen einbringen.

© HOPI-MEDIA/Bernhard J.Holzner, BWM Architekten

Eine große Konkurrenz ist das Doku-Business, das sich in den letzten Jahren in Film und Fernsehen stark entwickelt hat. Man ist nicht mehr auf Schwarzweißaufnahmen oder Zeitzeugen angewiesen, man kann fast alles nachstellen, mit Schauspielern oder am Computer simulieren.
Ich sehe in anderen Medien keine Konkurrenz – das sind einfach andere Herangehensweisen. Es gilt die Methoden kritisch zu hinterfragen. Wir verstehen uns als wissenschaftliche Einrichtung, dh. wir sind ganz nah an der zeitgeschichtlichen Forschung dran und übersetzen neue Erkenntnisse in das Medium Ausstellung. Darum ist es uns so zentral, viele Historikerinnen und Historiker mit ihren Expertisen einzubinden. Außerdem ist ein Museum ein sozialer Raum. Man sitzt nicht allein vorm Bildschirm. Im Museum können unerwartete Begegnungen stattfinden. 

Wenn man Serien wie „Downton Abbey“ anschaut, merkt man, dass zum Beispiel über Weltkriege ganz unterschiedliche Ansichten existieren. Die Briten sind der Ansicht, sie wurden in zwei Kontinentalkriege hineingezogen, in denen ihre jungen Männer starben. Die britischen Kolonialkriege und ihre Opfer nehmen die Engländer als gegeben hin.
Gerade die unterschiedlichen Sichtweisen auf die jeweilige Vergangenheit machen Geschichte zu einem spannenden Thema – es geht ja nicht um trockenes Faktenwissen, sondern um eine lebendige Auseinandersetzung mit der Vergangenheit von Gegenwartspunkten aus. Und auch die nationalen Sichtweisen ändern sich - jede Generation stellt neue Fragen an die Geschichte.

In der Diskussion um das Haus der Geschichte Österreich wird immer viel Identität und Identitätsstiftung gesprochen. Gibt es denn heute noch eine klare Identität?
Sicher nicht im Sinne des Nationalismus aus dem 19. Jahrhundert. Das ist überholt. Geschichtsmuseen sind heute Reflexionsorte. Das Haus der Geschichte Österreich macht Angebote, ist aber kein Imperativ im Sinne von So-ist-die-Geschichte zu sehen und Punkt. Jeder kann an sich selbst sehen, dass Identitäten flüssig sind, individuell und kollektiv.

Was ist die österreichische Identität?
Darauf gibt es viele Antworten. Fest steht: die Republik ist symbolisch unterrepräsentiert. Entscheidende Orte der österreichischen Demokratie – Parlament, Kanzleramt, Präsidentschaftskanzlei usw. – befinden sich in imperial geprägten Bauten. Es wäre ein wichtiges, zukunftsorientiertes Zeichen, wenn sich Republik anlässlich ihres hunderten Jubiläums für einen modernen Neubau für ihr Haus der Geschichte entscheidet. 

Der sogenannte Hitler-Balkon ist ja mehr eine Terrasse. Dort ist eine Kunstintervention geplant, richtig?
Richtig. Ursprünglich dienten Vorbauten wie dieser Altan ja als Wetterschutz für die Vorfahrt der Kutschen – die Fläche umfasst mehr als 200 m². Die Bezeichnung Balkon stimmt so also nicht. Am 15. März 1938 hat Hitler dort unter dem Jubel der Bevölkerung den „Anschluss“ verkündet. Dies ist nun 80 Jahre her, das ist in der Gedächtnistheorie eine wichtige Zäsur – die Generation derer, die eigene Erfahrungen mit dem NS-System hatten, gibt es kaum mehr. Trotzdem prägen die Folgen uns bis heute. In vielen Familiengedächtnissen sind die Folgen der Katastrophe des nationalsozialistischen Terrorregimes und des Zweiten Weltkriegs noch höchst virulent. Der Holocaust als Zivilisationsbruch ist in den letzten Jahrzehnten aber auch globaler historischer Bezugspunkt einer an Demokratie und Menschenrechten orientierten politischen Kultur geworden. Unser historisches Erbe umfasst auch die negativen Seiten der Vergangenheit. Damit müssen wir uns auseinandersetzen, auch um die Werte von Demokratie und Menschenrechten immer wieder neu ins Bewusstsein zu rufen.

Noch eine schwere Frage zum Schluss: Hätte es eine Möglichkeit gegeben, Österreich 1938 vor dem „Anschluss“ zu bewahren?
Das ist wirklich eine große Frage. Ich finde, die These des Historikers Gerhard Botz trifft noch immer zu: Der „Anschluss“ erfolgte nicht nur durch Druck von außen, sondern auch von innen und unten, also aus der österreichischen Bevölkerung. 2018 wird ja nicht nur an die Gründung der Republik erinnert, sondern auch des „Anschlusses“ 1938 gedacht. Gerade mit unserem Standort am Heldenplatz sind wir diesem Ereignis ganz besonders verpflichtet: Hitlers berühmt-berüchtigte „Anschluss“- Rede ist im Bildgedächtnis noch immer präsent. 1992, beim Fest für Österreich hat der Holocaust-Überlebende und Friedensnobelpreisträger Elie Wiesel vom Balkon – eigentlich ist es ein Altan – der Neuen Burg gesprochen. Er hat gesagt, der Balkon sei nichts, entscheidend sei, was unten passiere. Das ist unser Leitmotiv: Wichtig ist das Handeln der Menschen. Wo haben wir individuelle Handlungsspielräume, und wie gehen wir damit um? Auch heute. 

Auf einen Blick

Monika Sommer. Sie wurde 1974 in Linz geboren. Sommer studierte inWien und Graz, ihr Forschungsschwerpunkt sind unter anderem Museologie, Kultur- und Zeitgeschichte. Sie war am Wien Museum tätig und kuratierte das Kulturprogramm des Europäischen Forums Alpbach. Seit Anfang 2017 ist sie Direktorin des Hauses der Geschichte Österreich, das im November 2018 eröffnen wird und aktuell in Vorbereitung ist.

Weitere Informationen zum Haus der Geschichte Österreich finden Sie auf www.hdgoe.at


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