Athen: Nepotismus im Finanzressort

Giorgos Papakonstantinou
Giorgos Papakonstantinou AP
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Das Parlament leitete gegen Ex-Finanzminister Papakonstantinou Untersuchungen ein. Er soll Familienangehörige von einer Steuersünderliste gestrichen haben.

Athen. Die Nerven lagen gestern blank im griechischen Parlament – das Ergebnis allerdings war das erwartete: In der Nacht auf Freitag verwies das griechische Parlament den ehemaligen Finanzminister Giorgos Papakonstantinou mit 265 von 300 Stimmen wegen Verdachts auf Pflichtverletzung und Urkundenfälschung an einen parlamentarischen Untersuchungsausschuss. Er wird der Manipulation einer Liste potenzieller griechischer Steuersünder – der sogenannten „Liste Lagarde“ – verdächtigt. Der Antrag auf eine Untersuchung gegen den Nachfolger als Finanzminister, den heutigen Chef der sozialistischen Pasok Evangelos Venizelos, fand keine Mehrheit, ebenso wenig die Anträge gegen die ehemaligen Ministerpräsidenten Georgios Papandreou und Lukas Papademos.

Papakonstantinou hatte im Oktober 2010 von der damaligen französischen Finanzministerin Christine Lagarde eine Liste mit griechischen Konten bei der Schweizer Filiale der Bank HSBC erhalten. Die Aufstellung der potenziellen Steuersünder verschwand bis Herbst 2012 in den Schubladen der griechischen Behörden. Während in anderen Ländern entsprechende Listen zu erheblichen Einnahmen für die Steuerbehörden führten, blieb sie in Griechenland ungenutzt. Als sie im Herbst 2012 wieder auftauchte und schließlich mit dem neuerlich aus Frankreich angeforderten ursprünglichen Datensatz verglichen wurde, stellte man fest, dass ausgerechnet die Namen dreier Verwandter von Papakonstantinou entfernt worden waren. Die Liste war nie protokolliert worden, das Original in Form einer CD ist unauffindbar. Papakonstantinou bestritt auch bei der Diskussion im Parlament die Vorwürfe gegen ihn und ging von einer Verschwörung aus. Einer der späteren „Bearbeiter“ der Liste müsse die Namen seiner Verwandten entfernt haben.

Weiterleitung an Sondergericht

Laut griechischer Verfassung müssen strafrechtlich relevante Vorwürfe gegen ehemalige Minister vom Parlament untersucht werden. Erhärtet sich der Vorwurf gegen einen Amtsträger, wird er an ein Sondergericht verwiesen. Es handelt sich also nicht um einen Untersuchungsausschuss im üblichen Sinn, in dem die politische Verantwortung einer Person zur Debatte steht.

Hätte das Parlament auch Venizelos an den Ausschuss verwiesen, hätte die Auflösung der Regierungskoalition aus Konservativen (ND), sozialistischer Pasok und gemäßigter Linken (Dimar) gedroht. Daher stützten ihn die Konservative und gemäßigte Linke bei der Abstimmung. Venizelos wurde von Alexis Tsipras, dem Chef der radikalen Linksopposition (Syriza), scharf für seine Rolle in der Affäre attackiert. Er hatte seinen damaligen Ministerpräsidenten, Lukas Papademos, laut dessen Aussage nie über die Existenz der Liste informiert. Syriza fordert nun die Einrichtung eines parlamentarischen Untersuchungsausschusses zur Prüfung der politischen Verantwortung des Pasok-Chefs.

Die Steuerflucht ist in Griechenland weit verbreitet und einer der Gründe für die leeren Staatskassen. Die Handhabung der Lagarde-Liste erweckt den Eindruck in der Öffentlichkeit, dass Verwaltung und Politik immer noch prominente Steuersünder – oder Verwandte – decken, während normalen Bürgern die Einkommen gekürzt werden. Mit Unverständnis werden daher die parlamentarischen Redeschlachten verfolgt, bei denen viel von Verfahrensfragen die Rede war, Venizelos aber keine Erklärung dafür liefern konnte, warum er es nicht für notwendig gehalten hatte, seinen Ministerpräsidenten über die Liste zu informieren.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 19.01.2013)

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