General warnt vor Kollaps Ägyptens

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Seit fünf Tagen grassiert in Ägypten wieder die Gewalt. Ägyptens Militärchef ruft über Internet seine Landsleute zur Mäßigung auf. Neue Gruppen wie der Schwarze Block mischen bei den Ausschreitungen mit.

Kairo. General Abdel Fattah al-Sisi, der Chef der ägyptischen Streitkräfte, richtete am Dienstag eine eindringliche Warnung an seine Landsleute: „Wenn die Konflikte zwischen den politischen Kräften weiter anhalten, kann das den Kollaps des Staates bedeuten und zukünftige Generationen bedrohen“, äußerte der General über Facebook und fügte hinzu: Die politischen, ökonomischen und sozialen Probleme seien „eine Gefahr für Sicherheit und Stabilität des Landes“. Seit fünf Tagen grassiert in Ägypten wieder die Gewalt mit mehr als 50 Toten und über 800 Verletzten.

1. Was sind die Ursachen der Unruhen?

Eskaliert sind die politischen Konflikte in Ägypten, seit Präsident Mohammed Mursi, der aus der islamistischen Muslimbruderschaft kommt, am 22.November per Dekret die gesamte Judikative ausschaltete. Damit verhinderte er eine drohende Auflösung der verfassungsgebenden Versammlung durch das Verfassungsgericht. Wenig später ließ der Präsident in einer 15-stündigen Marathonsitzung alle 234 Artikel der neuen Verfassung vom Plenum durchpeitschen.

Alle nicht islamistischen Abgeordneten waren zuvor unter Protest aus dem Gremium ausgezogen, liberale und sozialdemokratische Politiker, Vertreter der Kirchen, Gewerkschaften und Künstler. Auch sie haben bei der Revolution gegen Hosni Mubarak vorne mitgekämpft und fühlen sich nun bei der Gestaltung des neuen Ägypten ausgeschlossen. Sie befürchten, dass sich ihr Land in eine islamistische Republik verwandelt.

2. Welche Rolle spielt bei den Unruhen der Schwarze Block?

Der Schwarze Block in Ägypten ist ein neues Element auf den Straßen, sein Vorbild sind gleichnamige anarchistische Gruppen in Europa und den USA. Seit vergangenem Donnerstag steht eine Art Selbstpräsentation im Internet: Junge Männer mit schwarzen Gesichtsmasken drohen Muslimbrüdern und Polizei den Krieg auf den Straßen an: „Wir stehen auf, um Front zu machen gegen das faschistisch-tyrannische Regime der Muslimbrüder mitsamt seiner Milizen“, deklamieren die vermummten Gestalten.

Inzwischen mischen sie im ganzen Land an den Brennpunkten der Gewalt ganz vorne mit. Montagabend versuchten sie, in das Semiramis-Luxushotel am Nilufer einzudringen und feuerten in die Luft, als andere Demonstranten sie daran hinderten. In anderen Städten gingen sie auf Büros der Muslimbrüder los, zündeten Autoreifen an oder bewarfen Polizisten mit Steinen. Der Schwarze Block versteht sich als Gegenwehr zu den Schlägertrupps der Muslimbrüder, die am 4.Dezember vor dem Präsidentenpalast zahlreiche Mitglieder der Opposition festgenommen und traktiert haben.

3. Was tut die Regierung gegen die Wirtschaftsmisere?

Die schlechte wirtschaftliche Lage heizt die Unruhen in Ägypten weiter an. Im Präsidentenpalast und in der Regierung herrscht Panik, ausländische Investitionen liegen nun schon das zweite Jahr hintereinander bei null, der Tourismus kommt nicht auf die Beine, und für staatliche Infrastrukturprojekte fehlt das Geld. In den öffentlichen Finanzen klaffen riesige Löcher, die Devisenvorräte sind gefährlich geschrumpft, das Ägyptische Pfund sank am Dienstag auf einen neuen Tiefststand. Gleichzeitig blockiert die innenpolitische Polarisierung jede Möglichkeit, das Volk zu motivieren und mitzureißen, die wirtschaftlichen Schwierigkeiten mit einer großen patriotischen Anstrengung anzupacken.

In den Ministerien fallen seit Monaten keine Entscheidungen mehr, das Vertrauen ausländischer Unternehmer in die Stabilität Ägyptens ist vorerst dahin. Vor allem darum geht es Präsident Mohammed Mursi auf seiner geplanten viertägigen Europa-Tour nach Deutschland und Frankreich. Der ägyptische Präsident will werben – für sein Land, um neues Vertrauen, und um finanzielle Hilfen.

Erste Station Mursis soll heute, Mittwoch, Berlin sein. Doch noch ist nicht sicher, ob der Präsident tatsächlich seine Reise antritt und Ägypten in diesen schwierigen Stunden verlässt.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 30.01.2013)

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