"Mein Bauch gehört mir": Protest gegen "Veggie Day" der Grünen

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Die grüne Forderung eines fleischlosen Tages pro Woche in allen Kantinen in Deutschland erhitzt die Gemüter im Wahlkampf.

Berlin/Gau. Das hat Peer Steinbrück gerade noch gefehlt. Sieben Wochen vor der Bundestagswahl muss sich der glücklose Kanzlerkandidat der SPD einmal nicht über eigene Fettnäpfchen oder miese Umfragewerte ärgern, sondern über seine Wunschpartner, die Grünen: „Die haben noch nicht mitgekriegt, dass es jetzt um die Wurst geht.“

Solch ironische Distanzierung ist noch das Harmloseste, was den deutschen Grünen zurzeit entgegen schallt – wegen einer Forderung, bei der es im ganz wörtlichen Sinne um die Wurst geht: Die Ökopartei will einen „Veggie Day“ einführen, einen fleischlosen Tag in deutschen Kantinen. Zuerst sollen alle öffentlichen Einrichtungen, etwa von Behörden oder Uni-Mensen, mit leuchtendem Beispiel vorangehen, die Betriebskantinen sollen folgen. Im ganzen Land mögen künftig am Donnerstag – so präzisiert es der gesellschaftliche Gestaltungswille von Karin Göring-Eckardt – ausschließlich vegetarische und vegane Gerichte zur Auswahl stehen. Die Idee stehe in der schönen Tradition des fleischlosen Freitags der Christen, erklärte die Generalsekretärin, die zugleich Präses der Synode der Evangelischen Kirche ist, am Montag in Berlin.

60 Kilo Fleisch ist zu viel

Da hatte die „Bild“ den Kulturkampf gegen den Fleischkonsum schon in dicken Lettern zum neuen Wahlkampfthema erhoben. Denn neu als Idee ist der „Veggie Day“ keineswegs: Er steht seit April im grünen Wahlprogramm; schon vor zwei Jahren wollte die Bundestagsfraktion ihn umsetzen. Denn die Deutschen, das bestätigt jeder Ernährungswissenschaftler, essen trotz leicht rückläufiger Tendenz immer noch viel zu viel Fleisch und Wurst: 60 Kilo pro Bauch und Jahr. Das ist nicht gut für die Gesundheit und noch viel schlechter fürs Klima. Auch ein Zeichen gegen die Massentierhaltung wollen die Grünen mit ihrem Vorstoß setzen.

Zur allgemeinen Verwirrung ergänzte Göring-Eckardt nun, man werde auf Zwang verzichten. Ein Blick ins Wahlprogramm klärt die entscheidende Frage nicht: Ein „Veggie Day“ solle „zum Standard werden“, heißt es dort. Die vage Formulierung hat einen guten Grund: Im föderalen Deutschland wäre ein flächendeckendes Fleischverbot in Kantinen gesetzlich gar nicht durchsetzbar. Aber was soll's, das Thema ist draußen und erhitzt die bereits hochsommerlich vorgewärmten Gemüter. Sieht man von der peinlich berührten SPD ab, ist das hoch emotionale Ernährungsthema für andere Parteien ein gefundenes Fressen. CDU-Generalsekretär Hermann Gröhe warnt vor einer grünen „Verbotsrepublik“. Ein Sprecher von Ernährungsministerin Ilse Aigner verkündet gelassen: „Wir halten wenig von Bevormundungen“, auch Fleisch gehöre zu einer gesunden Ernährung. Die Junge Union demonstriert vor der Grünen Parteizentrale in Berlin: „Mein Bauch gehört mir.“

Gegen Süßigkeiten, für Ponys

Herzhafter langt die FDP zu. „Menschen ständig Vorschriften zu machen, ist nicht mein Verständnis von Freiheit und Liberalität“, erklärt der liberale Spitzenkandidat Rainer Brüderle und legt höhnisch nach: „Was kommt als Nächstes? Jute-Day, Bike-Day, Green-Shirt-Day?“ FDP-Vizechefin Miriam Gruß ärgert sich genussvoll darüber, wie sich die Grünen zu den „Gutmenschen der Nation aufschwingen“. Freilich: Gegen die Verbotsmentalität des Erzfeindes zu wettern, gehört zur Standardpolemik jedes liberalen Parteitages. Aber auch in anderen Ecken des Politspektrums stößt das mehr oder weniger aufgezwungene Gemüse sauer auf: Die Linken wettern gegen eine „grüne Erziehungsdiktatur“. Und Angelika Beer, ein grünes Gründungsmitglied, das nun für die Piraten im Landtag von Schleswig-Holstein sitzt, bringt die „Arroganz“ der Grünen auf die Formel: „Wir wissen, was für euch gut ist, aber ihr noch nicht.“ Die „zunehmende Verbotsmentalität“ führe zu einer „Entmündigung der Bürger“.

Tatsächlich wird viel verboten, wo Grüne das Sagen haben. Die Bundestagsfraktion will Süßigkeitenwerbung aus dem Fernsehen verbannen. Winfried Kretschmann, der Ministerpräsident von Baden-Württemberg, kämpft vereint mit seiner Landespolizei für ein Alkoholverbot auf öffentlichen Plätzen. Das von den Grünen in Nordrhein-Westfalen durchgesetzte Rauchverbot für Gaststätten ist das schärfste der Republik. Im nationalen Wahlprogramm finden sich strenge Tempolimits: 120 km/h auf der Autobahn, 80 über Land und – wo immer möglich – 30 in der Stadt. Besondere Freude hatten die politischen Gegner mit einer Initiative der Grünen in Bremen. Sie wollten über den Bundesrat ein nationales Verbot für das Ponyreiten auf Jahrmärkten erzwingen. Denn das sei nicht artgerecht, die Tiere würden zum Objekt degradiert und vermittelten Kindern eine falsche Wertvorstellung.

Fairerweise ist zu ergänzen, dass die deutschen Grünen auch für eine betont gelassene Drogenpolitik stehen und mit dem Tanzen an stillen Feiertagen gar kein Problem haben. Wenn es in ihr Konzept einer besseren Welt passt, verstehen sie zuweilen durchaus mehr Spaß als andere Parteien.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 07.08.2013)

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