PKK bringt Kurdenpartei in Zwangslage

Die Regierung hat erstmals seit Beendigung der Waffenruhe kurdische Stellungen in der Türkei angegriffen. Die Morde, die von den PKK-Rebellen verübt wurden, bringen der prokurdischen Partei HDP schwere Vorwürfe ein.

Istanbul. Selahattin Demirtaş kämpft. Der 42-jährige Chef der prokurdischen Partei HDP wird von Präsident Recep Tayyip Erdoğan, Ministerpräsident Ahmet Davutoğlu und anderen Regierungspolitikern beinahe täglich als Terrorhelfer beschimpft. Der HDP-Chef kontert, indem er dem Präsidenten vorwirft, die Öffentlichkeit in der Türkei und im Westen hinters Licht zu führen: Der Präsident gebe vor, den Islamischen Staat (IS) bekämpfen zu wollen, um Druck auf die Kurden auszuüben. Doch Erdoğan ist nicht das einzige Problem für Demirtaş .

Auch am Mittwoch setzte die türkische Luftwaffe ihre Angriffe auf mutmaßliche Stellungen der PKK-Kurdenrebellen fort. Zum ersten Mal seit Beginn der Luftangriffe am vergangenen Wochenende wurden dabei nicht nur Ziele im Nordirak attackiert, wo die PKK ihr Hauptquartier hat, sondern auch in der Türkei selbst.

Die HDP, die enge Kontakte zur PKK nicht leugnet, hatte bei der Parlamentswahl im Juni knapp über 13 Prozent der Stimmen erhalten und war mit 80 Abgeordneten in die Volksvertretung in Ankara eingezogen. Sie ist die erste türkische Kurdenpartei, der dieses Kunststück gelungen ist – und genau das könne Erdoğan nicht vertragen, sagt Demirtaş. Der Präsident wolle die HDP kleinkriegen, indem er neue Spannungen zwischen Türken und Kurden im Land provoziere.

In der britischen BBC warf Demirtaş dem Präsidenten vor, er gaukle dem Westen mit dem neuen Plan zur Errichtung einer Schutzzone nur vor, entschieden gegen den IS vorgehen zu wollen. In Wirklichkeit richteten sich die türkischen Angriffe gegen die Kurden in Syrien, die in der Gegend der geplanten Schutzzone ein Autonomiegebiet schaffen wollten.

Seit Tagen Welle der Gewalt

Falls Erdoğan hoffen sollte, die HDP bei möglicherweise anstehenden Neuwahlen unter die für den Parlamentseinzug entscheidende Zehn-Prozent-Hürde zu drücken, dann hoffe der Präsident vergeblich, sagte Demirtaş: „Wir glauben, dass wir noch stärker werden.“ Er stützt sich dabei auf einige Umfragen, die weitere Stimmenverluste für die Erdoğan-Partei AKP vorhersagen, wenn die Türken erneut zur Urne gerufen werden sollten.

Der politische Druck der Regierung auf die HDP bildet aber nur eine Seite der Zwangslage, in der sich die Kurdenpartei befindet. Während Demirtaş und andere HDP-Politiker eine Einstellung der Luftangriffe auf Stellungen der PKK fordern und betonen, die Friedensverhandlungen zwischen dem türkischen Staat und der PKK müssten weitergehen, verübten die PKK-Rebellen neue Gewalttaten. Sie haben seit der vergangenen Woche mehrere Soldaten und Polizisten erschossen, andere entführt, Straßensperren errichtet und türkische Polizeiwachen angegriffen.

Damit brockt die PKK den Kurden in der HDP einen schweren Vorwurf ein. Entweder, so sagen Regierungsvertreter, wolle die HDP den Rebellen nicht befehlen, sich weiter an die 2013 vereinbarte Waffenruhe zu halten – oder sie könne es nicht. In dem einen Fall sei die HDP tatsächlich am Terror beteiligt, im anderen Fall fehle ihr der Einfluss auf die PKK, was die Kurdenpartei bedeutungslos mache.

Er sei kein PKK-Befehlshaber, so Demirtaş zur BBC. In mehreren Stellungnahmen der vergangenen Tage ließ er Kritik am Vorgehen der PKK erkennen. (güs)

("Die Presse", Print-Ausgabe, 30.07.2015)

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