Das Land hatte im vergangenen Quartal wieder ein Wachstum zu verzeichnen. Doch die Krise ist auch in Nippon vermutlich noch länger nicht vorbei.
Tokio. Als dritter Industriestaat nach Deutschland und Frankreich hat sich nun Japan wieder aus der Rezession herausgearbeitet – mit fast einem Prozent Wirtschaftswachstum zwischen April und Juni fand der Aufschwung überraschend früh statt.
Der Zeitpunkt mag Zufall sein. Aber pünktlich zum Auftakt des Parlamentswahlkampfes konnte Japans Regierung eine gute Nachricht unters Volk streuen. Es geht wieder aufwärts mit der zweitgrößten Volkswirtschaft der Welt, wenn auch auf relativ niedrigem Niveau. Die Experten streiten: „Nach zwölf Monaten Krise ist die Rezession eindeutig beendet“, hofft Ökonom Tetsufumi Yamakawa von Goldman Sachs in Tokio. Sein Kollege Kyohei Morita von Barclays Capital ist sich da nicht so sicher und widerspricht, „ein selbsttragendes Wachstum ist noch weit entfernt.“ Wahrscheinlich stimmt, was Hiromichi Shirakawa, Chefvolkswirt bei Credit Suisse in Tokio spürt: „Japan schwankt jetzt zwischen Hoffnung und Lamento“.
Steigende Arbeitslosigkeit
Der Absturz der Nippon AG scheint vorerst gestoppt, aber nach dem krassen Einbruch ist sie tief im Keller gelandet. Für einen veritablen Neustart fehlen harte Indikatoren. Die Kapazitäten der Industrie sind nur noch zu 70 Prozent ausgelastet, Investitionen werden eher abgeschrieben als aktiviert. Zwar ist der private Konsum durch staatliche Anreizprogramme wie Abwrackprämien für Autos, Fernsehgeräte und Kühlschränke wieder leicht gestiegen, aber diese Stimuli laufen nach der Unterhauswahl am 30. August sukzessive aus.
Unvermindert steigt jedoch die Arbeitslosigkeit bei fallenden Gehältern. Das Jahreseinkommen eines durchschnittlichen japanischen Haushaltes ist in den vergangenen zehn Jahren um 7.500 Euro gefallen. Und das spürt der Mann auf der Straße. „Der Aufschwung kommt noch nicht bei den Leuten an“, beklagt im Wahlkampf selbst Premierminister Taro Aso. Die Opposition – nach allen Wahlprognosen klar auf der Siegerstraße – verhöhnt den Regierungschef, er werde ein „Land des Schwächelns“ hinterlassen.
Klamm heimlich scheint sich Japan aus seiner industriellen Führungsrolle zu verabschieden. Neuerdings sprechen die Diplomaten des Tokioter Außenamtes nicht mehr gern von der zweitgrößten Volkswirtschaft der Welt. Wohl wissend, dass diese Position hinter den USA schon 2010 an China übergehen kann. „Von dort kommt auch die konjunkturelle Wende“, ermittelte UBS-Ökonom Takuji Aida. Japan könnte als erster Waggon hinter der chinesischen Lokomotive schneller Fahrt aufnehmen als der Rest der Welt.
In Tokio, Osaka oder Nagoya erzeugen die Pekinger Konjunkturprogramme neue Nachfrage bei Schwermaschinen, Autos und Rohstoffen. Das riesige Nachbarreich nimmt in diesem Jahr erstmals mehr japanische Güter ab als der bisherige Hauptkunde USA. Vor allem Baumaschinenfirmen spüren den staatlichen Infrastruktur-Boom der Chinesen. Japans Marktführer Komatsu meldet im Juni 20 Prozent Umsatzanstieg.
Auch auf Japans Aktienmärkten ging es in den vergangenen Wochen steil bergauf. Diesmal, so die Hoffnung der Japaner, soll sich die Geschichte der 90er Jahre nicht wiederholen. Damals blieb das Land in der Finanzkrise stecken, weil der Bankensektor nicht saniert wurde. Man spricht mittlerweile vom verlorenen Jahrzehnt, weil die japanische Wirtschaft jahrelang stagnierte, während die Volkswirtschaften im Rest der Welt längst wieder hohe Wachstumsraten zu verzeichnen hatten.
Der Preis: Rekordverschuldung
Diesmal zeigen auch die rund 190 Milliarden Euro schweren Programme der Tokioter Aso-Regierung Wirkung. Der Staat baut wieder mehr Straßen und Brücken – muss sich dafür aber immer höher verschulden. Bisher stehen die öffentlichen Hände mit der Rekordsumme von 170 Prozent des Bruttoinlandproduktes in der Kreide – 200 Prozent werden in Tokio nicht mehr ausgeschlossen. Ein hoher Preis dafür, „dass es wenigstens aufhört, mit der Wirtschaft immer schlimmer zu werden“, wie Notenbankgouverneur Masaaki Shirakawa fast schon resigniert die Situation beschreibt.
Glaubt man den Marktauguren an der Börse, ist der neue Aufschwung weit schwächer als nötig, um die zweitgrößte Volkswirtschaft der Welt dauerhaft aus der Talsohle zu liften. „Viele Unternehmen realisieren, dass ihre Umsätze für ein wirkliches Comeback doch nicht stark genug steigen“, beobachtet Hiroshi Shiraishi von BNP Paribas in Tokio. Junko Nishioka, Japan-Chefvolkswirtin bei RBS Securities, warnt deshalb vor verfrühten Konjunkturschwalben. „Die Produktion steigt seit Februar, weil Lager wieder aufgefüllt werden, die zuvor zu stark geleert wurden. Die Nachfrage ist noch lange nicht stabil.“
Kapazitäten liegen brach
Maiko Noguchi vom Bankhaus Daiwa SMBC befürchtet deshalb: „Die Erholung wird wieder an Tempo verlieren.“ Und Chefvolkswirt Shirakawa von Credit Suisse vermutet, „es kann bis zu drei Jahre brauchen, ehe nur drei Viertel der ursprünglichen Produktionskapazität wieder genutzt werden.“ Aus seiner Sicht stehen die meisten Unternehmen weiter auf der Bremse, stellen weder Leute ein noch investieren sie.
Umfragen der Bank von Japan ergaben, dass allein die Großindustrie im laufenden Geschäftsjahr ihre Investitionen um durchschnittlich ein Zehntel kürzt. Schuld daran sind vor allem miese Gewinnaussichten. Japans Großproduzenten rechnen im Schnitt für das Geschäftsjahr bis Ende März 2010 mit fast 40 Prozent weniger Ertrag. Die Agentur Fitch Rating prognostiziert, dass selbst exportstarke Star-Konzerne wie Toyota mehrere Jahre brauchen werden, um ihre alte Profitabilität wieder zu erreichen.
„Diese Rezession hat einen sehr tiefen Boden“, klagt Chefvolkswirt Tetsuro Sugiura von Mizuho Securities Research. Sein professioneller Optimismus klingt daher fast wie Galgenhumor. „Selbst wenn die Erholung derzeit noch wenig schwungvoll daher kommt, sind wir doch wenigstens nicht mehr im freien Fall.“
("Die Presse", Print-Ausgabe, 24.08.2009)