Neue Krim-Krise: Kiew versetzt Armee in Alarmbereitschaft

Die Krim macht wieder Schlagzeilen: Der ukrainische Sicherheitsrat berät mit Präsident Poroschenko.
Die Krim macht wieder Schlagzeilen: Der ukrainische Sicherheitsrat berät mit Präsident Poroschenko.(c) REUTERS (POOL)
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Russische Behörden wollen ukrainische Anschlagspläne vereitelt haben. Der UN-Sicherheitsrat berät.

Kiew/Moskau/Simferopol/Wien. Sergej Aksjonow, seines Zeichens Präsident der von Russland annektierten Krim, kam die Rolle zu, die schrägste These von allen zu verbreiten. Die USA steckten hinter der Saboteursgruppe, die der russische Inlandsgeheimdienst FSB am vergangenen Wochenende auf der Halbinsel aufgedeckt haben will, behauptete der Verbalrabauke gegenüber dem Staats-TV Rossija 24: „Um solche Aktionen durchzuführen, reicht bei den verantwortlichen Personen in der Ukraine der Mut nicht aus.“ Viel ernster nehmen musste man hingegen den Vorwurf des russischen Präsidenten, Wladimir Putin. Der hatte am Mittwoch die Kiewer Behörden für die Planung terroristischer Akte verantwortlich gemacht.

Was ist auf der Krim vor ein paar Tagen wirklich passiert? Ist es der Auftakt für eine neuerliche militärische Konfrontation zwischen Moskau und Kiew? Nach Putins Statement schrillten in Kiew die Alarmglocken. Nachdem gestern der ukrainische Präsident, Petro Poroschenko, die Armee in Grenznähe zur Krim in erhöhte Alarmbereitschaft versetzt hatte, bemühte er sich um ein Telefongespräch mit Putin, unter Beteiligung von Angela Merkel, François Hollande, Joe Biden und Donald Tusk. Auch der UN–Sicherheitsrat beriet über die Spannungen auf der Krim.

Die Informationslage ist dürftig. Von russischer Seite heißt es, dass in der Nacht von Samstag auf Sonntag sieben Saboteure im Norden der Krim festgenommen worden seien. Unter ihnen sollen ukrainische und russische Staatsbürger sein. Die Männer hätten gestanden, im Auftrag der ukrainischen Militäraufklärung tätig zu sein. Ihnen werde die Planung von Anschlägen auf touristische Ziele zur Last gelegt, um die Besucherströme auf der Krim zum Erliegen zu bringen, so die Wirtschaftszeitung „Kommersant“ unter Berufung auf russische Sicherheitskreise. Im direkten Zusammenhang mit dem aufgedeckten „Agentennetz“ sollen zwei bewaffnete Zwischenfälle an der Verwaltungsgrenze der Krim zum ukrainischen Festland stehen. Zwei russische Sicherheitskräfte wurden bei den Zusammenstößen getötet, ein FSB-Mitarbeiter und ein Soldat.

„Heiße“ Ereignisse im August

Dem Vorfall vorangegangen waren Berichte über einen russischen Truppenaufmarsch auf der Krim. Man wolle auf einem Marinemanöver die Abwehr von Unterwasserangriffen durch Saboteure proben, hieß es dazu aus Moskau. Seit ein paar Tagen war die Überfahrt von ukrainischem Festland auf die Krim immer wieder unterbrochen. Unklar ist, warum Moskau den Vorfall erst drei Tage später publik machte.

Kommentatoren rätselten bereits, was sich wohl diesen August in Russland ereignen würde. Der August gilt als der Monat der politischen Überraschungen. Nicht nur der Putschversuch von 1991 fand im Hochsommer statt. Parallelen zum August-Krieg zwischen Georgien und Russland vor acht Jahren werden nun bemüht. Damals ließ sich der georgische Präsident, Michail Saakaschwili, zu einem Angriff auf das abtrünnige Gebiet Südossetien provozieren. Ein paar Tage später fuhren russische Panzer auf georgischem Territorium. Saakaschwili hatte seine Lektion erhalten. Der Jahrestag des Kriegs ist erst ein paar Tage her. Auch im ostukrainischen Donbass kam es in den vergangenen Wochen zu vermehrten Eskalationen zwischen von Russland unterstützten Verbänden und der ukrainischen Armee. Und schließlich wird am 18. September ein neues russisches Parlament gewählt. Das Nachbarland versinke im Chaos, und ein starker Staat müsse davor geschützt werden: So lautete in der Vergangenheit die unzweideutige Nachricht an die Zuseher. Die Ukraine, zuletzt aus den Schlagzeilen gerückt, ist jedenfalls zurück auf dem TV-Bildschirm.

Umgekehrt kann nicht ausgeschlossen werden, dass es auch auf ukrainischer Seite Kräfte gibt, die sich von einer Eskalation der Lage Vorteile versprechen. Nationalisten jagten Ende 2015 Strommasten in Grenznähe in die Luft, was Moskau dazu veranlasste, Mittel in eine autarke Stromversorgung der Halbinsel zu investieren. Der Zwischenfall macht deutlich, dass die Krim und der Donbass im Konflikt zwischen Ukraine und Russland korrespondierende Gefäße sind. Für Kiew ist der Raub der Krim der Punkt, an dem das Unrecht den Ausgang nahm. Moskau wehrt jegliche Versuche einer internationalen Kontrolle und Konfliktregulierung ab und führt auf der Halbinsel ein rigides Regime. Dass auch Putin sehr wohl einen Zusammenhang sieht, machte er am Mittwoch klar. Angesichts der jüngsten Ereignisse auf der Krim sei ein Normandie-Treffen am Rande des G20-Gipfels in China im September „vollkommen sinnlos“, sagte Putin. Im Normandie-Format beraten Frankreich, Deutschland, Russland und Ukraine über die Konfliktlösung im Donbass.

Eine Folge der Affäre könnte sein, dass der Zweifel des Westens an der Zuverlässigkeit der Ukraine weiter steigt. Die Minsker Friedensverhandlungen treten auf der Stelle. In der Ukraine sinkt die Bereitschaft zur Umsetzung des 13-Punkte-Abkommens. Stimmen, die nach einer Abschottung der abtrünnigen Gebiete rufen, finden zunehmend Gehör. Ein Zwist zwischen Partnern wäre Moskau nicht unwillkommen.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 12.08.2016)

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