Die beiden Präsidentschaftskandidaten haben radikal unterschiedliche Vorstellungen zur Zukunft Frankreichs – nicht nur in der Europapolitik.
Paris. Am Sonntag haben die Franzosen auch die Wahl zwischen zwei diametral verschiedenen Programmen: Der Mitte-links-Politiker Emmanuel Macron und die rechtspopulistische Marine Le Pen haben nahezu gegensätzliche Vorstellungen darüber, wie Frankreich wieder wirtschaftlich auf Vordermann kommen und sich künftig außenpolitisch und innerhalb der Europäischen Union positionieren soll,
Auch ihre Pläne über die Zukunft des Sozialstaates, des Arbeitsmarktes oder der Steuerpolitik führten zu hitzigen Debatten im Wahlkampf.
Hier die wichtigsten Themenbereiche, die den Wahlkampf in Frankreich entschieden haben – und die Antwort darauf in den Programmen der Front-National-Kandidatin sowie des En-marche-Gründers:
Europa-Politik
Das politische Projekt von Marine Le Pen steht und fällt weitgehend mit dem Austritt aus der EU. Denn die meisten ihrer protektionistischen Pläne oder Forderungen nach einer nationalen Bevorzugung wären mit den geltenden EU-Regeln nicht vereinbar. Frankreichs volle nationale Souveränität soll zunächst durch Verhandlungen mit Brüssel zurückerlangt werden. Da dies vermutlich ergebnislos wäre, verspricht Le Pen ein EU-Referendum über einen möglichen „Frexit“. Auf demselben Weg will sie auch den Euro durch den Franc ersetzen, zunächst aber Franc und Euro parallel einsetzen.
Der En-marche-Kandidat Emmanuel Macron setzt im Gegenteil auf mehr Europa – auch als „Schutz“ vor der Globalisierung. Er setzt auf die deutsch-französische Zusammenarbeit, zudem plant er einen eigenen Wirtschaftsminister, ein Budget und ein Parlament für die Eurozone.
Außenpolitik
Marine Le Pen möchte, dass Frankreich aus der Nato austritt und sich Russland annähert. Sie befürwortet das sofortige Ende der Russland-Sanktionen und billigt auch die russische Intervention in Syrien an der Seite von Bashar al-Assad. Durch eine wiederhergestellte nationale Souveränität möchte sie eine von den USA und der EU unabhängige Außenpolitik für Frankreich. Sie erwähnt dazu gern General de Gaulle als Vorbild. Emmanuel Macron würde die bisherige Außenpolitik von François Hollande fortsetzen, namentlich auch die militärischen Interventionen in Syrien/Irak oder in Zentralafrika. In seinen Wahlreden hat er die Expansionspolitik von Wladimir Putin als Gefahr ebenso kritisiert wie die neue US-Diplomatie von Donald Trump. Auch in diesem Bereich möchte er die europäische Zusammenarbeit zusammen mit Berlin stärken.
Einwanderung
Le Pen will den Schengen-Vertrag und den freien Personenverkehr aufkündigen und zu nationalen Grenzkontrollen zurückkehren – und dazu 6000 Zollbeamte anstellen. Sie fordert einen Einwanderungsstopp, würde aber zunächst die Einwanderung auf 10.000 Menschen jährlich begrenzen. Illegale will sie ausnahmslos ausweisen.
Macron will den Schwerpunkt auf Integration setzen und dazu legal Eingewanderten einen Sprachkurs anbieten. Es soll Visa für hochqualifizierte Ausländer geben. Zudem fordert er mehr Personal für Frontex. Das Asylverfahren soll auf sechs Monate verkürzt werden.
Soziales und Arbeit
Beide Kandidaten wollen grundsätzlich die 35-Arbeitstunden-Woche beibehalten und durch steuerfreie Überstunden die Einkommen erhöhen. Allerdings will Macron das Arbeitsgesetz weiter reformieren.
Le Pen fordert, dass man wieder mit 60 Jahren in Pension gehen kann (bei 40 Jahren Beitragsdauer), lässt aber offen, ob das sofort oder erst später der Fall wäre und auch, wie das finanziert würde. Sie möchte eine Reihe von Sozialgelder oder Familienzulagen exklusiv für französische Staatsbürger reservieren. Die Front-National-Chefin wünscht sich mehr Personal im Gesundheitswesen, der Polizei und an den Grenzen. Ausländische Berufstätige sollen nicht sofort Ansprüche auf Krankenversicherung erhalten. Illegale Migranten sollen keine medizinische Behandlung erhalten.
Macron will das derzeitige gesetzliche Pensionierungsalter mit 62 beibehalten, die Altersvorsorge aber mit einem homogenen Punktesystem völlig reorganisieren und alle unzähligen Sonderkassen in einer einzigen vereinheitlichen. Die Arbeitslosenversicherung soll unter staatliche Kontrolle kommen. Auch Selbstständige sollen Ansprüche auf eine Arbeitslosenentschädigung bekommen. Er möchte in fünf Jahren 100.000 öffentliche Stellen abbauen. Er möchte die medizinische Prävention verstärken und die Kassenleistungen für Zahnprothesen und Hörapparate verbessern.
Steuern
Le Pen plant zur Förderung der Produktion Importzölle, mit deren Einnahmen eine Prämie von 80 Euro für Monatslöhne unter 1500 Euro finanziert werden soll. Unternehmen, die ihre Produktion ins Ausland verlegen, will sie mit einer 35-prozentigen Strafsteuer belegen. Unternehmen, die ausländische statt französische Arbeitskräfte rekrutieren, müssten eine Strafsteuer bezahlen. Sie würde für die drei untersten Kategorien die Einkommenssteuer um 10 Prozent senken. Die Reichtumssteuer ISF bliebe unverändert.
Macron will 80 Prozent der Haushalte von der bisherigen lokalen Wohnsteuer befreien, um deren Kaufkraft zu stärken. Die bisherige Reichtumssteuer ISF soll auf Immobilien beschränkt werden, Aktien und andere Investitionen in Unternehmen dagegen würden künftig ausgespart.
Er ist für eine Testphase mit der Quellenbesteuerung. Die Steueransätze für Unternehmen würden bei einer Macron-Präsidentschaft gesenkt werden, bisherige Beiträge der Arbeitnehmer an die Arbeitslosen- und Krankenversicherung würden zur Kaufkraftsteigerung abgeschafft und durch eine Erhöhung der auf allen Kapitalerträgen, Pensionen und Einkommensarten erhobenen CSG kompensiert.
("Die Presse", Print-Ausgabe, 06.05.2017)