Die Präsidentenpartei verfügt in der Nationalversammlung über eine solide Mehrheit. Von der geringen Beteiligung profitierten andere.
Paris. Die Präsidentenpartei La République en marche (REM) von Emmanuel Macron verfügt nach der französischen Parlamentswahl am Sonntag allein mit 308 von insgesamt 577 Sitzen über eine absolute Mehrheit in der Nationalversammlung. Hinzu kommen für die Regierungskoalition die 42 Mandate des zentrumsdemokratischen Partners MoDem, der Partei des Justizministers François Bayrou sowie wahrscheinlich mehrere als Unabhängige oder als Kandidaten anderer Parteien gewählte Abgeordnete. Zusammen sind dies etwas mehr als 350 Mandate.
Das ist bei Weitem ausreichend für die Vertrauensabstimmung nach der Regierungserklärung von Premier Edouard Philippe am 4. Juli. Aber es ist nicht der „Tsunami“ von weit mehr als 400 oder gar annähernd 500 Sitzen, den die Umfrageinstitute, ausgehend von den Resultaten des ersten Wahlgangs, am 11. Juni, angekündigt hatten. Die Enttäuschung darüber dürfte sich bei dem REM-MoDem-Bündnis in Grenzen halten. Die Hauptsache für die Regierung war, den Spielraum zum gesetzgeberischen Handeln zu bekommen.
„Eine absolute Mehrheit, aber ein relativer Sieg“, analysierte die Zeitung „Le Monde“ das Endergebnis. Es war vor allem die niedrige Wahlbeteiligung von knapp 43 Prozent, die diese Abweichung von den Prognosen erklärt. Macrons angekündigter Triumph wirkte demotivierend und demobilisierend auf viele Stimmberechtigte.
Umgekehrt erhöhte dies das Gewicht der besonders motivierten Wähler. Das erklärt beispielsweise die Sitzgewinne der linken Bewegung La France insoumise (FI) von Jean-Luc Mélenchon, die neu mit 17 Gewählten in Fraktionsstärke im Unterhaus vertreten sein wird und dort mit den zehn Kommunisten vom PCF zusammen auftreten kann. Mélenchon selbst wurde in Marseille gewählt.
Auch der rechtspopulistische Front National (FN) kommt laut den letzten Resultaten auf acht Mandate, eines davon konnte Parteichefin Marine Le Pen in ihrer nordfranzösischen Hochburg Hénin-Beaumont erobern. Das ist einerseits ebenfalls mehr, als die Prognosen erwarten ließen, bleibt aber im Vergleich zum Stimmenanteil von Marine Le Pen bei den Präsidentschaftswahlen im April und Mai eine magere Ausbeute. Der FN forderte deshalb einmal mehr die Einführung des Verhältniswahlrechts. Sowohl Mélenchon als auch Le Pen beanspruchen für sich die Rolle von Wortführern einer radikalen Opposition zum liberalen Regierungskurs.
Eine verheerende Niederlage mussten die Sozialisten und ihre Verbündeten, die linken Radikalen (PRG) und die Grünen (EELV), einstecken. Noch nie hatten die französischen Sozialdemokraten eine derartige Schlappe erlitten, die ihre Existenz als Volkspartei infrage stellt – eine überdeutliche Absage an die vormalige Regierung von Präsident François Hollande.
Zusammen kommen diese gemäßigten Linksparteien gerade noch auf 44 bis 49 Mandate; es ist nicht klar, wer von diesen Abgeordneten sich zur Opposition zählen und wer sich auf die Seite der Präsidentenmehrheit schlagen wird. Dazu zählt etwa der vormalige Premier Manuel Valls, der als Unabhängiger gewählt wurde.
Uneinige Bürgerliche
Dieselbe Unklarheit bezüglich ihres politischen Standpunkts besteht auch bei den 137 Abgeordneten der Bürgerlich-Konservativen (LR-UDI). Ein Teil hat sich öffentlich für eine konstruktive Zusammenarbeit mit der Regierung des Ex-LR-Mitglieds Philippe ausgesprochen. Der andere Parteiflügel ist für einen klaren Oppositionskurs.
Von 350 bisherigen Abgeordneten, die wieder kandidierten, wurden nur 145 wiedergewählt. Drei Viertel der Mitglieder der neuen Nationalversammlung sind parlamentarische Anfänger. Das gab es in diesem Ausmaß noch nie in Frankreichs Nachkriegsgeschichte.
("Die Presse", Print-Ausgabe, 20.06.2017)