Ist der US-Außenminister Mitglied eines politischen „Selbstmord-Pakts“? Tillerson bezeichnete den Präsidenten angeblich als „Schwachkopf“ und stand kurz vor dem Rücktritt. Der Minister gilt als Zielscheibe innerhalb der Regierung.
Washington. Wenn der Außenminister eines Landes seinen Präsidenten „Schwachkopf“ nennt und der Präsident seinem Außenminister bescheinigt, er verschwende seine Zeit, dann ist es kein Wunder, dass in der Öffentlichkeit das Gerücht die Runde macht, die Zeit dieses Ministers sei wohl abgelaufen. Bei US-Außenminister Rex Tillerson war dieses Gerücht zuletzt so weitverbreitet, dass er in Washington angesichts des erwarteten Rückzugs vom Amt bereits den Spitznamen „Rexit“ erhielt. Tillerson trommelte schließlich die Medien zusammen, um ein Dementi zu verlesen, das für Ruhe sorgen sollte. Doch er hat das Gegenteil erreicht. Der frühere Chef des Ölkonzerns Exxon gilt als Minister auf Abruf.
Stoische Fassade
Tillerson ist in Trumps Regierung ein wichtiger Vertreter der Realo-Fraktion, die den Präsidenten von spontanen Bauchentscheidungen abbringen und die Außenpolitik der Supermacht einigermaßen verlässlich halten will. Für europäische Politiker, die sich um Trumps Sprunghaftigkeit sorgen, ist Tillerson zusammen mit Verteidigungsminister James Mattis und Sicherheitsberater H.R. McMaster ein wichtiger Ansprechpartner.
Doch die stoische Fassade des 65-jährigen Texaners mit dem starken Südstaatenakzent verdeckt zahlreiche ungelöste Konflikte. In seinem Ministerium ist der Quereinsteiger aus der Ölbranche unbeliebt, weil er sich mit einigen Beratern abschottet und das Personal stark abbauen will.
Das ist aber noch das geringste Problem. Ein ums andere Mal watscht Trump seinen Minister ab und demütigt ihn öffentlich. Als Tillerson kürzlich während eines Besuchs in China von diskreten Kontakten der USA zum nordkoreanischen Regime berichtete, tat der Präsident das per Twitter als Zeitverschwendung ab – Tillerson war vor der Öffentlichkeit und seinen chinesischen Gastgebern blamiert.
Im Frühsommer bemühte sich Tillerson um eine Verständigung zwischen Saudiarabien und Katar, bis ihm Trump mit einer öffentlichen Parteinahme für die Saudis in die Parade fuhr. Der Präsident verkündete den Ausstieg der USA aus dem Pariser Klimavertrag, obwohl Tillerson für einen Verbleib war.
Im Gegenzug fällt Tillerson hin und wieder dadurch auf, dass er sich von Trump distanziert. Als der Präsident sich nach der Gewalt von Charlottesville im August weigerte, die rechtsradikalen Marschierer klar zu verurteilen, sagte Tillerson, Trump spreche nur für sich selbst.
Hinter den Kulissen geht es nach Medienberichten noch etwas deftiger zur Sache. In einer Besprechung im Juli habe Tillerson den nicht anwesenden Präsidenten einen „beschissenen Schwachkopf“ genannt und sei kurz vor dem Rücktritt gestanden, meldete NBC. Nur eine Intervention von Vizepräsident Mike Pence habe den Abschied des Ministers verhindert. Tillerson dementierte, dass er von Pence zum Bleiben überredet worden sei – das mit dem „Schwachkopf“ hätte er auch gleich dementieren können, tat es aber nicht.
Laut „New York Times“ sprechen Mitarbeiter Tillersons von einer „tiefen Frustration“ beim Außenminister. Viel Spaß an seinem Posten habe Tillerson nicht. Bob Corker, der Vorsitzende des Auswärtigen Ausschusses im US-Senat, sieht Tillerson als Zielscheibe von Angriffen aus Teilen der Trump-Regierung. Im Weißen Haus agiert Trumps Schwiegersohn Jared Kushner als Nahost-Gesandter und eine Art Nebenaußenminister.
Die „Erwachsenen“
Viele Beobachter fragen sich, warum Tillerson nicht längst schon hingeschmissen hat. Vielleicht liegt es an seinem Verantwortungsbewusstsein. Corker betonte, Männer wie Tillerson, Verteidigungsminister Mattis und der Stabschef im Weißen Haus, John Kelly, bewahrten das Land „vor dem Chaos“ einer Trump-Regierung ohne mäßigende Korrekturen. Tillerson, Mattis, Kelly und McMaster werden manchmal die „Erwachsenen“ der Regierung genannt.
In US-Medien ist von einem „Selbstmord-Pakt“ von Tillerson, Mattis und Finanzminister Steven Mnuchin die Rede: Sollte Trump einen von ihnen ernsthaft attackieren, wollen alle zurücktreten.
("Die Presse", Print-Ausgabe, 06.10.2017)