Die Deutsche ist mit ihrem kleinen Sohn inhaftiert.
Istanbul. In den frühen Morgenstunden am 30. April stürmte die Polizei in die Wohnung von Meşale Tolu und nahm die deutsche Journalistin und Übersetzerin fest – seither befindet sich die 33-Jährige in U-Haft. Am gestrigen Mittwoch, mehr als fünf Monate später, begann der Prozess gegen Tolu. Vor Gericht forderte sie ihre Freilassung und einen Freispruch. Sie sei nicht Teil einer illegalen Organisation. Die türkischen Behörden werfen Tolu – wie vielen anderen Journalisten und Regierungskritikern auch – Terrorpropaganda vor. Das Gericht kam der Forderung nach Freilassung nicht nach. Das Gericht beschloss die Freilassung von acht Angeklagten, sechs weitere müssen in U-Haft bleiben, darunter Tolu.
Tolu berichtete beispielsweise über zwei Mitglieder der linksextremen marxistisch-leninistischen MLKP, die von Polizisten getötet wurden. Sie soll auch an einer Veranstaltung für in Syrien getötete Kurden teilgenommen haben. Für Tolus Anwältin, Kader Tonç, hat das Verfahren einen politischen Hintergrund. Die Verteidigung will sie vorrangig aus der U-Haft im Istanbuler Frauengefängnis Bakırköy befreien. Ihr drohen bis zu 20 Jahre Haft.
Mit zwei Dutzend Insassen
Tolu wurde in Ulm geboren, lebte zum Zeitpunkt ihrer Festnahme in Istanbul. Ihr Mann, ebenfalls Journalist und Übersetzer, sitzt auch im Gefängnis. Es war derselbe Staatsanwalt, der die U-Haft über Tolu und ihren Mann, Suat Çorlu, verhängte, sagte Tolus Bruder der „Zeit“. Das Paar hat einen zweieinhalbjährigen Sohn, der mit der Mutter untergebracht ist – in einer Zelle mit zwei Dutzend weiteren Insassen. Der Bub habe bei seiner Mutter sein wollen, sagte Tolus Vater. Der Großvater bringt den Buben auch zu Besuchszeiten zu seinem Vater ins Gefängnis.
Das Auswärtige Amt hat bisher erfolglos die Freilassung Tolus verlangt. Deutsche Politiker haben indessen angekündigt, dem Prozess beiwohnen zu wollen. (duö)
("Die Presse", Print-Ausgabe, 12.10.2017)