Alice Schwarzer: „Sind Muslimen Solidarität schuldig“

„Die Presse“-Chefredakteur Rainer Nowak im Gespräch mit der Journalistin und Publizistin Alice Schwarzer.
„Die Presse“-Chefredakteur Rainer Nowak im Gespräch mit der Journalistin und Publizistin Alice Schwarzer.Stanislav Jenis
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Islamisten sind für die Feministin Alice Schwarzer die „Faschisten des 21. Jahrhunderts“. Und aufgeklärte Muslime ihre ersten Opfer. Ein Gespräch mit "Die Presse"-Chefredakteur Rainer Nowak.

Von Medienkritik zu sprechen wäre angesichts der Wortwahl glatt untertrieben. Was Alice Schwarzer zur Rolle der Medien in der Debatte über den politischen Islamismus sagt, kommt beinahe einer Abrechnung gleich. Dass es sich dabei ironischerweise um ihre eigene Zunft handelt, macht ihre Aussagen umso glaubwürdiger – ist sie doch selbst Journalistin und Publizistin, gründete 1977 die Frauenzeitschrift „Emma“ und gab zahlreiche Bücher heraus. Ihre konkrete Kritik: die Nichtunterscheidung zwischen Islam und Islamismus in der öffentlichen Diskussion, die zu einem „puren Rassismus“ gegenüber Muslimen in Europa geführt habe.

„Das ist ein dunkles Kapitel der Medien, die Ursünde dieser ganzen Debatte“, betonte Schwarzer am Freitagabend im Gespräch mit „Die Presse“-Chefredakteur und -Herausgeber Rainer Nowak im Wiener Stadtkino im Künstlerhaus. Und bekam – wie noch öfter bei dieser Diskussion, einer Kooperation zwischen dem Österreichischen Integrationsfonds und der „Presse“ – Szenenapplaus. „Ich sage das in aller Gelassenheit“, fuhr sie fort, „Islamisten sind die Faschisten des 21. Jahrhunderts; ihre ersten Opfer sind aufgeklärte Muslime, denen wir Solidarität schuldig sind.“ Besonderen Schutz verdienten die Kinder von Islamisten, die teilweise schon mit elf Jahren ein Kopftuch („die Flagge des islamistischen Kreuzzuges“) tragen müssten und dadurch sexualisiert würden. „Das ist ein Skandal, diese Kinder haben ein Recht auf Schutz.“

„Religion war kein Faktor“

Um die Bedeutung der Religion in der öffentlichen Diskussion zu verdeutlichen, bemüht Schwarzer das Beispiel der türkischen Gastarbeiter, die Anfang der 1960er-Jahre nach Deutschland und Österreich gekommen sind. Damals sei die Religion der Zuwanderer „kein Faktor“ gewesen. Die Gastarbeiter habe man „einfach als Türken“ gesehen, die mit radikalem Islamismus nichts zu tun hatten. Erst durch die Islamische Revolution 1979 im Iran, in Folge dessen sich ein – durch Länder wie Saudiarabien, Katar, Ägypten und mittlerweile auch die Erdoğan-Türkei finanzierter – politischer Islamismus entwickelt habe, hätte die Religion von Zuwanderern plötzlich eine wichtige Rolle gespielt. Was Politik und Medien überfordere – bis heute.

„Vier von fünf Musliminnen in Deutschland tragen kein Kopftuch, das muss man sich einmal durch den Kopf gehen lassen“, sagt Schwarzer, die sich „selbstverständlich“ für ein Kopftuchverbot im öffentlichen Dienst ausspricht. Dennoch sei in Zeitungen jedes Mal eine Frau mit Kopftuch zu sehen, wenn es um Musliminnen gehe. Sie fordert die Leser dieser Zeitungen daher auf, sich öfter zu beschweren, wenn sie falsche und irreführende Meldungen sehen.

Sexuelle Gewalt in der Familie

Auch beim zweiten großen Thema des Abends, der sexuellen Belästigung von Frauen, losgetreten durch die Affäre um Harvey Weinstein, kam die 74-Jährige nicht ganz ohne Kritik an den Medien aus. Regisseur Woody Allens Sohn Ronan Farrow, ein Journalist, der mit seinem Vater gebrochen hat, sei es nur mit Mühe und unter großem persönlichen Einsatz gelungen, die Missbrauchsvorwürfe gegen Weinstein in der Zeitschrift „The New Yorker“ publik zu machen.

Die anschließend entfachte, breit diskutierte Debatte sei umso erfreulicher und notwendiger, zeige aber auch, dass sexuelle Gewalt am Arbeitsplatz seit jeher einfacher zu thematisieren und bekämpfen sei „als sexuelle Gewalt im Kinderzimmer und in der Familie. Diesen Schritt braucht es noch.“ Das beweise auch die Affäre um Woody Allen, der trotz massiver Kindesmissbrauchsvorwürfe bis heute nicht nur nicht zur Rechenschaft gezogen worden sei, sondern als Starregisseur „über rote Teppiche“ gehen dürfe.

Für sie selbst gab es an diesem Abend keinen roten Teppich, stattdessen aber Standing Ovations der rund 250 geladenen Gäste im Stadtkino, während sie sichtlich gerührt die Bühne verließ und danach im Foyer ihre Bücher signierte. Zuvor beantworte sie aber noch eine letzte, durchaus provokante Frage aus dem Publikum: Ob sie sich wegen ihrer deutlichen Worte gegen Islamisten manchmal von den Rechten vereinnahmt fühle? Schwarzer: „Was soll ich dazu sagen? Ich kritisiere den politischen Islamismus seit 1979. Und bisher kam noch kein Rechter zu mir und meinte: ,Mach bei uns mit!‘“

Auf einen Blick

Mit der Gesprächsreihe „Gesellschaft im Wandel: Was hält uns zusammen?“ stellt der Österreichische Integrationsfonds (ÖIF) mit der „Presse“ Fragen zu Zusammenleben, Kultur und Religion in den Fokus und lädt dazu Experten nach Wien. Das Gespräch mit „Die Presse“-Chefredakteur Rainer Nowak und Publizistin Alice Schwarzer bildete den vorläufigen Abschluss der Reihe.

Weitere Veranstaltungen: www.integrationsfonds.at/veranstaltungen

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