Der Oppositionschef will beweisen, dass der engste Kreis der Familie Erdoğan Millionen auf die Isle of Man verschafft hat. Auch aus den USA erreichen Ankara unangenehme Nachrichten.
Wien/Ankara. Die um keinen Witz verlegenen, regierungskritischen User in der Türkei haben am Dienstag erneut reichlich Stoff bekommen, und Thema des Tages war in den sozialen Medien die kleine Insel Isle of Man. „Das erste mal von dieser Insel gehört“, schreibt einer, „und dann gleich so viel.“ Denn das, was sich am 1. August 2011 auf dieser Insel zugetragen haben soll, legte nun der sozialdemokratische Oppositionschef Kemal Kılıçdaroğlu bei einer Versammlung seiner Partei CHP offen: An jenem Tag soll hier für genau ein Pound Sterling eine Firma gegründet worden sein.
Verteilt über die zweite Jahreshälfte 2011 seien Gelder an diese Briefkastenfirma geflossen, und zwar vom Schwager des Präsidenten Recep Tayyip Erdoğan. Darüber hinaus von Mustafa Erdoğan, dem Bruder. Dann von einem weiteren Schwager sowie von einem engen Vertrauten. Und von Ahmet Burak Erdoğan, dem Sohn des Präsidenten. Insgesamt waren es rund 15 Millionen Dollar, zählte Kılıçdaroğlu vor, während er mit einem Papierstoß in seiner Hand wedelte. Spätestens zu diesem Zeitpunkt brach der staatliche türkische Sender TRT die Liveschaltung von der CHP-Versammlung ab.
Es ist nicht das erste Mal, dass sich Erdoğan und sein engster Kreis mit Korruptions- und Steuerfluchtvorwürfen herumschlagen müssen. Der erste große Skandal rollte bereits Ende 2013 auf die mächtige Familie zu, Konsequenzen hatte es – bis auf den unmittelbaren Rücktritt dreier AKP-Minister – keine. Mit der Veröffentlichung der sogenannten Malta-Files über internationale Steuerflucht heuer im Mai verhielt es sich auch so: Der aserbaidschanische Geschäftsmann Mübariz Mansimov soll die Familie Erdoğan groß in Reedereigeschäfte eingeführt haben, abgewickelt auf der Isle of Man und anderen Steuerparadiesen. Bisher gelang es der Familie Erdoğan, alle Skandale abzusitzen. Aber diesmal kommen die Vorwürfe von Kılıçdaroğlu nur wenige Stunden nach einer brisanten Aussage des Präsidenten: Sollte die Opposition Belege für Steuerflucht oder Ähnliches vorbringen, dann werde er zurücktreten.
Von Malta bis Miami
Davon war aber am Dienstag nicht mehr die Rede. Vielmehr hieß es aus AKP-Kreisen, dass die Belege des Oppositionschefs gefälscht seien – das ließ Erdoğan über seinen Anwalt mitteilen. AKP-Funktionär Bülent Turan forderte gar den Rücktritt Kılıçdaroğlus. Mit Spannung wird nun erwartet, ob die fraglichen Dokumente einer Überprüfung standhalten, denn die Überweisungen wären nach der Lesart der Opposition ein direkter Beweis dafür, dass der Präsident die Steuern seines Landes umgeht.
Neben der Familie Erdoğan geriet jüngst auch der engste Kreis des Premiers Binali Yıldırım in Bedrängnis. Enthüllungen der sogenannten Paradise Papers zufolge sollen die Söhne Yıldırıms Geld nach Malta verschafft haben, um Steuern zu umgehen. Die CHP wollte daraufhin eine parlamentarische Untersuchung einfordern, scheiterte jedoch, wie so oft, an der Mehrheit der AKP-Stimmen.
Indessen könnte demnächst eine weitere unangenehme Nachricht den engeren AKP-Zirkel einholen, und zwar aus den USA. Dort muss sich der iranisch-türkische Geschäftsmann Reza Zarrab der Justiz stellen, er soll mit dem Segen Erdoğans und anderen AKP-Granden Goldgeschäfte mit dem Iran eingefädelt – und gleichzeitig die US-Sanktionen gegenüber dem Iran umgangen haben. Schon die Festnahme Zarrabs in Miami vergangenes Jahr hat Ankara recht nervös gemacht. Am Dienstag gab die US-Justiz bekannt, dass Zarrab im laufenden Prozess nicht als Angeklagter geführt wird. Es ist für Beobachter ein Zeichen dafür, dass er im Gegenzug zu einer Strafmilderung aussagen wird. Und was er zu erzählen hat, dürfte für die AKP nicht schmeichelhaft sein.
("Die Presse", Print-Ausgabe, 29.11.2017)