Bei der Münchener Sicherheitskonferenz warnt UN-Chef Guterres vor neuen Kriegen. Aus Deutschland kommen mahnende Worte in Richtung USA: Die UNO dürfe nicht geschwächt werden.
Düstere Töne markierten den Auftakt der 54. Münchner Sicherheitskonferenz im „Hotel Bayerischer Hof“. Schon in seinem Willkommensgruß machte Gastgeber Wolfgang Ischinger die mehr als 20 Staats- und Regierungschefs im Saal unmissverständlich darauf aufmerksam, dass die Alarmsignale mittlerweile dunkelrot leuchten. Die gesamte Weltordnung sei in Gefahr, der Westen offenbar schwächer als in der Vergangenheit. Demokratie und Freiheit seien im Niedergang. Die Welt bewege sich "viel zu nah an den Rand eines großen internationalen Konflikts“, sagte Ischinger. Und dann sprach der deutsche Diplomat die im Auditorium versammelten Spitzenpolitiker direkt an. „Nur Sie können das Schlimmste verhindern.“
Im Saal saß zwischen mehr als 20 Staats- und Regierungschefs, zwischen Dutzenden Verteidigungs- und Außenministern auch der österreichische Bundeskanzler Sebastian Kurz. Er wird seinen großen Auftritt erst am heutigen Samstag mit einer Europarede haben. Doch schon am Freitag knüpfte er Kontakte. Sein wohl brisantester Termin war für 16.16 Uhr im „Hotel Charles“ angesetzt: ein Treffen mit dem israelischen Ministerpräsidenten Benjamin Netanjahu. Thema dabei: Die Normalisierung der Beziehungen nach der Kontaktsperre der israelischen Beziehungen für österreichische Minister aus der FPÖ. Das Gespräch sei gut verlaufen, so Kurz.
Der Zustand der Welt war seit dem Ende des Kalten Krieges vor fast 30 Jahren noch nie so prekär wie jetzt. Wolfgang Ischinger, Chef der Münchner Sicherheitskonferenz (im Bild), ist nicht für Alarmismus bekannt. Doch unmittelbar vor Beginn der hochkarätig besetzten Veranstaltung im Hotel „Bayerischer Hof“ warnte der deutsche Diplomat vor neuen Großkriegen. „Wir haben noch nie seit dem Ende der Sowjetunion eine so hohe Gefahr einer militärischen Konfrontation zwischen Großmächten gehabt.“ Von Christian Ultsch (c) REUTERS (Athit Perawongmetha)
Das Misstrauen zwischen den USA und Russland sei abgrundtief, meint Ischinger. Entflammen könnten sich verheerende Auseinandersetzungen zwischen hochgerüsteten Staaten an verschiedensten Ecken der Welt. Der Krisenbogen von der Ukraine über den Nahen Osten bis ins Südchinesische Meer. In einem Bericht zur Münchner Sicherheitskonferenz listen die Veranstalter die zehn größten globalen Risiken für das heurige Jahr. Sie berufen sich dabei auf eine Analyse der Eurasia Group. APA/AFP/THOMAS KIENZLE
In mehreren Arenen der Welt könnten unbeabsichtigte Provokationen zu ernsten internationalen Konflikten führen. Wie schnell Entwicklungen aus dem Ruder laufen könnten, zeigte unlängst ein Vorfall in Syrien: Bei einem amerikanischen Luftangriff bei Deir as-Zor kamen mehr als 200 russische Söldner ums Leben. In der Region stecken die Großmächte derzeit ihre Einflusszonen ab. Moskau verzichtete auf einen Gegenschlag, auch weil die Söldner offiziell gar nicht im Einsatz sind in Syrien. Zweites Beispiel aus diesen Tagen: Israel holte eine aus Syrien kommende iranische Drohne vom Himmel und beschoss daraufhin eine Kommandozentrale im Nachbarland. In einer Vergeltungsaktion schossen die Syrer einen israelisches Kampfjet ab. Nach Angaben des gut informierten Journalisten Ronen Bergman zogen israelische Generäle Pläne aus den Schubladen, um in Teile Syriens einzumarschieren. Ein Anruf des russischen Präsidenten Wladimir Putin habe dem israelischen Premier Benjamin Netanjahu jedoch Einhalt geboten. APA/AFP/DELIL SOULEIMAN
Während Washington mit Donald Trumps Tweets beschäftigt ist, verfolgt die Regierung in Peking eine effiziente globale Handels- und Investitionsstrategie. Die bisherige ökonomische Weltordnung gerät ins Wanken. Das könnte zu einem Handelskrieg zwischen den USA und China führen. Was dagegen spricht: Beide Großmächte sind finanziell und wirtschaftlich voneinander abhängig. Doch China reduziert seit Jahren kontinuierlich seinen Besitz amerikanischer Staatsanleihen. REUTERS/Jonathan Ernst/File Photo
Die USA und China werden um die Vorherrschaft in der virtuellen Welt ringen, bei Supercomputern und künstlicher Intelligenz. Dieser Wettbewerb um wirtschaftliche Vorherrschaft birgt Risiken für Märkte und Sicherheit. REUTERS/Kim Hong-Ji
Der Zusammenbruch von Gesprächen über eine Neuverhandlung des Freihandelsabkommens Nafta zwischen Mexiko, den USA und Kanada hätte vor allem für den lateinamerikanischen Staat desaströse Folgen. Eine Verschärfung könnte einen Sieg des Oppositionsführers Andres Manuel Lopez Obrador bei der Präsidentenwahl im Juli bringen. Er will die investitionsfreundliche Politik des Amtsinhabers zurückfahren. REUTERS/Henry Romero
Seit Monaten spricht US-Präsident Trump davon, das Atomabkommen mit dem Iran aufzukündigen. Er nennt die Vereinbarung den schlechtesten Deal aller Zeiten. Gleichzeitig unterstützen die USA ihre saudiarabischen Verbündeten, um den iranischen Einfluss im Libanon, im Irak, in Syrien und dem Jemen zurückzudrängen. Die Konfrontation zwischen Saudiarabien und dem Iran könnte schnell außer Kontrolle geraten. Die Folge wäre möglicherweise ein offener konfessioneller Krieg zwischen Schiiten und Sunniten. President.ir/Handout via REUTERS
Die Institutionen, die friedliche Gesellschaften in Demokratien meist zusammenhalten, zeigen Auflösungserscheinungen. Regierungen und politische Parteien kommen ebenso wie die Justiz, Medien und Finanzeinrichtungen unter Druck. Ihre Glaubwürdigkeit wird teilweise gezielt unterminiert. imago/ZUMA Press
Neue Handelshürden entstehen, Subventionen etwa oder auch Verpflichtungen für Behörden und Unternehmen, lokalen Anbietern den Vorzug zu geben. Solche Maßnahmen sind oft weniger sichtbar als Zölle, aber mindestens genauso schädlich für Freihandel und wirtschaftliche Zusammenarbeit, die der Welt in den vergangenen Jahrzehnten unter dem Strich enorme Wohlstandszuwächse gebracht haben. (c) REUTERS (XXSTRINGERXX xxxxx)
Der Austritt Großbritanniens aus der EU ist noch lange nicht über die Bühne. Immer noch ist ein harter, ungeordneter Brexit mit allen negativen Folgen für beide Verhandlungsseiten möglich. Innerbritische Turbulenzen sind wahrscheinlich, sowohl wirtschaftlich als auch politisch: Ministerpräsidentin Theresa May verliert zusehends an Rückhalt. (c) REUTERS (Peter Nicholls)
In Südostasien sind Populismus und Nationalismus in den unterschiedlichsten Ausprägungen auf dem Vormarsch. Auf den Philippinen unterminiert der Präsident Rodrigo Duterte (im Bild) mit seinen Hetzreden den Rechtsstaat. In Indonesien und Malaysia zeigen sich verstärkt islamistische Tendenzen; da und dort geraten chinesische Minderheiten ins Visier. Das kann zu grenzübergreifenden Auseinandersetzungen führen und bestehende Territorialkonflikte schüren. In Indien könnte Präsident Narendra Modi versucht sein, den Hindu-Nationalismus anzuheizen, um seine Chancen auf eine Wiederwahl 2019 zu erhöhen. APA/AFP/NOEL CELIS
Die Migrationskrise hat die mannigfaltigen Problemlagen des Nachbarkontinents ins europäische Bewusstsein gerufen: hohes Bevölkerungswachstum, hohe Arbeitslosigkeit, Dürre, korrupte Regierungen und radikal-islamistische Gruppen von Somalia bis Nordafrika. Eine explosive Mischung. APA/AFP/YONAS TADESSE
10 Krisen, die die Welt bedrohen
Guterres warnt vor Krieg zwischen Israel und Hisbollah
Im Konferenzsaal im „Bayerischen Hof“ übernahm indessen UN-Generalsekretär José Antonio Guterres die Rolle der Kassandra. Er sprach von einem gordischen Knoten im Nahen Osten. Fast alle Konflikte der Region seien auf fatale Weise miteinander verworren. Der Iran habe Konfliktlinien mit Saudiarabien, Israel und den USA, zusätzlich religiös aufgeladen durch Spannungen zwischen Sunniten und Schiiten. Doch damit nicht genug: Auch die Supermächte Russland und USA stehen in der Region, insbesondere in Syrien, auf verschiedenen Seiten der Front. Nato-Generalsekretär Jens Stoltenberg plädierte in seiner Ansprache für Abschreckung, doch auch für politischen Mut zum Dialog. Nur so könne ein Absturz in den Abgrund verhindert werden.
Das schlimmste Szenario, so Guterres, sei in dieser hochexplosiven Situation ein neuer Krieg zwischen der vom Iran unterstützen südlibanesischen Hisbollah und Israel. Und dafür gibt es schon seit einiger Zeit Anzeichen. Beide Seiten rüsten auf.
Doch Guterres richtete seinen besorgten Blick auch nach Asien. Vor Kurzem erst war der UN-Generalsekretär bei den Olympischen Spielen. Die Annäherung zwischen Süd- und Nordkorea gibt ihm Hoffnung, doch nicht allzu viel. „Zum ersten Mal seit dem Ende des Kalten Krieges sind wir mit einer nuklearen Bedrohung konfrontiert.“ Die Aussichten auf die Folgen des Klimawandels und auf Cyberkriege stimmten den Portugiesen auch nicht zuversichtlicher. Guterres führte seine Zuhörer an den Abgrund und rief am Ende zu gemeinsamem Handeln auf. „Wir müssen einen starken Multilateralismus aufbauen, um die Herausforderungen der Gegenwart meistern zu können.“
"Sind unsere Ansichten wirklich so unterschiedlich?"
Schützenhilfe erhielt Guterres von der deutschen Verteidigungsministerin Ursula von der Leyen. Sie legte in einer Rede ein Bekenntnis zur UNO ab, das sie mit einem Seitenhieb gegen die USA verband. „Manche Partner reduzieren die Ausgaben für Diplomatie, Entwicklungshilfe und UNO - sind unsere Ansichten wirklich so unterschiedlich?“, fragte sie. Deutschland wolle die UNO stärken. Die UNO müsse reformiert, aber sie dürfe nicht geschwächt werden. „Wir sind die Vereinten Nationen“.
Sie sprach sich dafür aus, die Ausgaben für Entwicklungshilfe im gleichen Ausmaß wie den Militäretat zu erhöhen. Den amerikanischen Partnern jenseits des Atlantik dankte die Niedersachsin für die Hilfe nach 1945 und versprach, die in der Nato geleisteten Versprechen umzusetzen. Im Koalitionsvertrag zwischen Union und SPD ist freilich von den zwei Prozent des Bruttoinlandsprodukts, auf die sich die Rüstungsausgaben bis 2024 aller Nato-Staaten erhöhen soll, nicht explizit zu lesen. Darin ist lediglich von einem Zielkorridor die Rede.
Doch aufrüsten will Deutschland in jedem Fall, wie Ursula von der Leyen ausführte. Deutschland müsse mehr Verantwortung übernehmen und werde sich dabei nicht hinter der Last der Nazi-Vergangenheit verstecken. Allein aber wollen die Deutschen in Europa nicht handeln, sondern nur gemeinsam mit Frankreich und den anderen EU-Mitgliedern. Insgesamt 25 der 20 EU-Staaten, einschließlich Österreich, haben sich Ende des Vorjahres auf eine verstärkte gemeinsame Verteidigungspolitik geeinigt. Pesco lautet das neue Zauberwort – wie „Permanent Structured Cooperation“.
Es ist auch eine Antwort auf die isolationistische Wende, die in den USA Präsident Donald Trump lärmend eingeleitet hat. Europa will auf eigenen militärischen Füßen stehen. Das betonte auch die französische Verteidigungsministerin Florence Parly. Frankreich werde Hand in Hand mit Deutschland die europäischen Werte verteidigen. Die Allianz mit den USA sei unverzichtbar, sagte die Französin. Doch in der neuen Welt sei Europa nicht mehr ein „Nice to have“, sondern ein „Must“. Die Einigung auf Pesco und einen europäischen Verteidigungsfonds seien eine „Kulturrevolution“, schwärmte Parly. Und es würde noch weitere Schritte folgen. Doch noch heißt es für Frankreich warten. Bis die neue deutsche Regierung nach monatelangen Verhandlungen endlich steht.
Die Europäer machen sich bei der Sicherheitskonferenz im München selbst Mut und geloben, an ihrer Weltpolitikfähigkeit zu arbeiten. Russland und die USA schlagen raue Töne an. Abwesend ist die neue große Weltmacht: China.
Bundeskanzler Kurz skizzierte auf der Münchner Sicherheitskonferenz seine Vision für ein schlankeres Europa: verstärkte polizeiliche und militärische Kooperation, aber ein Ende der Überregulierung.
Die britische Premierministerin hat ein Sicherheitsabkommen mit der EU nach dem Brexit vorgeschlagen. EU-Kommissionspräsident Juncker hat Vorbehalte gegen einen Ausbau der Verteidigungspolitik zurückgewiesen. Gabriel warb für ein starkes Europa
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