Bundeskanzler Kurz skizzierte auf der Münchner Sicherheitskonferenz seine Vision für ein schlankeres Europa: verstärkte polizeiliche und militärische Kooperation, aber ein Ende der Überregulierung.
Er startete mit einer ernüchternden Diagnose zum Zustand der Welt. Europa sei von Konfliktherden umgeben, die Ukraine komme nicht zur Ruhe, aus dem Arabischen Frühling sei ein Winter geworden, und in Afrika baue sich ein Migrationsdruck auf, den der alte Kontinent noch sehr intensiv zu spüren bekommen werde. Gleichzeitig verschöben sich die Machtzentren. Das wirtschaftlich wiedererstarkte Amerika ziehe sich von der Weltbühne zurück, ins Vakuum dringe China vor. Und Europa, so Sebastian Kurz, spiele eine immer kleinere Rolle. Die EU habe ein paar falsche Abzweigungen erwischt und sich in lähmende interne Familienstreitereien zwischen Nord und Süd, zwischen Ost und West verwickelt. Für kleine Staaten wie Österreich hatte er eine tröstliche autosuggestive Botschaft parat. Das neue Motto lautet nicht: Die großen Fische fressen die Kleinen, sondern die Schnellen fressen die Langsamen.
Was also sollte Europa in dieser Konstellation tun? Sebastian Kurz empfiehlt, dass sich die EU auf das Wesentliche konzentrieren, sich jedoch vom Klein-klein verabschieden sollte. „Wir versuchen mit enormem Aufwand, in den kleinen Dingen alles gleich zu schalten, während wir in den fundamentalen großen Fragen keine gemeinsame Linie mehr finden.“
Der Zustand der Welt war seit dem Ende des Kalten Krieges vor fast 30 Jahren noch nie so prekär wie jetzt. Wolfgang Ischinger, Chef der Münchner Sicherheitskonferenz (im Bild), ist nicht für Alarmismus bekannt. Doch unmittelbar vor Beginn der hochkarätig besetzten Veranstaltung im Hotel „Bayerischer Hof“ warnte der deutsche Diplomat vor neuen Großkriegen. „Wir haben noch nie seit dem Ende der Sowjetunion eine so hohe Gefahr einer militärischen Konfrontation zwischen Großmächten gehabt.“ Von Christian Ultsch (c) REUTERS (Athit Perawongmetha)
Das Misstrauen zwischen den USA und Russland sei abgrundtief, meint Ischinger. Entflammen könnten sich verheerende Auseinandersetzungen zwischen hochgerüsteten Staaten an verschiedensten Ecken der Welt. Der Krisenbogen von der Ukraine über den Nahen Osten bis ins Südchinesische Meer. In einem Bericht zur Münchner Sicherheitskonferenz listen die Veranstalter die zehn größten globalen Risiken für das heurige Jahr. Sie berufen sich dabei auf eine Analyse der Eurasia Group. APA/AFP/THOMAS KIENZLE
In mehreren Arenen der Welt könnten unbeabsichtigte Provokationen zu ernsten internationalen Konflikten führen. Wie schnell Entwicklungen aus dem Ruder laufen könnten, zeigte unlängst ein Vorfall in Syrien: Bei einem amerikanischen Luftangriff bei Deir as-Zor kamen mehr als 200 russische Söldner ums Leben. In der Region stecken die Großmächte derzeit ihre Einflusszonen ab. Moskau verzichtete auf einen Gegenschlag, auch weil die Söldner offiziell gar nicht im Einsatz sind in Syrien. Zweites Beispiel aus diesen Tagen: Israel holte eine aus Syrien kommende iranische Drohne vom Himmel und beschoss daraufhin eine Kommandozentrale im Nachbarland. In einer Vergeltungsaktion schossen die Syrer einen israelisches Kampfjet ab. Nach Angaben des gut informierten Journalisten Ronen Bergman zogen israelische Generäle Pläne aus den Schubladen, um in Teile Syriens einzumarschieren. Ein Anruf des russischen Präsidenten Wladimir Putin habe dem israelischen Premier Benjamin Netanjahu jedoch Einhalt geboten. APA/AFP/DELIL SOULEIMAN
Während Washington mit Donald Trumps Tweets beschäftigt ist, verfolgt die Regierung in Peking eine effiziente globale Handels- und Investitionsstrategie. Die bisherige ökonomische Weltordnung gerät ins Wanken. Das könnte zu einem Handelskrieg zwischen den USA und China führen. Was dagegen spricht: Beide Großmächte sind finanziell und wirtschaftlich voneinander abhängig. Doch China reduziert seit Jahren kontinuierlich seinen Besitz amerikanischer Staatsanleihen. REUTERS/Jonathan Ernst/File Photo
Die USA und China werden um die Vorherrschaft in der virtuellen Welt ringen, bei Supercomputern und künstlicher Intelligenz. Dieser Wettbewerb um wirtschaftliche Vorherrschaft birgt Risiken für Märkte und Sicherheit. REUTERS/Kim Hong-Ji
Der Zusammenbruch von Gesprächen über eine Neuverhandlung des Freihandelsabkommens Nafta zwischen Mexiko, den USA und Kanada hätte vor allem für den lateinamerikanischen Staat desaströse Folgen. Eine Verschärfung könnte einen Sieg des Oppositionsführers Andres Manuel Lopez Obrador bei der Präsidentenwahl im Juli bringen. Er will die investitionsfreundliche Politik des Amtsinhabers zurückfahren. REUTERS/Henry Romero
Seit Monaten spricht US-Präsident Trump davon, das Atomabkommen mit dem Iran aufzukündigen. Er nennt die Vereinbarung den schlechtesten Deal aller Zeiten. Gleichzeitig unterstützen die USA ihre saudiarabischen Verbündeten, um den iranischen Einfluss im Libanon, im Irak, in Syrien und dem Jemen zurückzudrängen. Die Konfrontation zwischen Saudiarabien und dem Iran könnte schnell außer Kontrolle geraten. Die Folge wäre möglicherweise ein offener konfessioneller Krieg zwischen Schiiten und Sunniten. President.ir/Handout via REUTERS
Die Institutionen, die friedliche Gesellschaften in Demokratien meist zusammenhalten, zeigen Auflösungserscheinungen. Regierungen und politische Parteien kommen ebenso wie die Justiz, Medien und Finanzeinrichtungen unter Druck. Ihre Glaubwürdigkeit wird teilweise gezielt unterminiert. imago/ZUMA Press
Neue Handelshürden entstehen, Subventionen etwa oder auch Verpflichtungen für Behörden und Unternehmen, lokalen Anbietern den Vorzug zu geben. Solche Maßnahmen sind oft weniger sichtbar als Zölle, aber mindestens genauso schädlich für Freihandel und wirtschaftliche Zusammenarbeit, die der Welt in den vergangenen Jahrzehnten unter dem Strich enorme Wohlstandszuwächse gebracht haben. (c) REUTERS (XXSTRINGERXX xxxxx)
Der Austritt Großbritanniens aus der EU ist noch lange nicht über die Bühne. Immer noch ist ein harter, ungeordneter Brexit mit allen negativen Folgen für beide Verhandlungsseiten möglich. Innerbritische Turbulenzen sind wahrscheinlich, sowohl wirtschaftlich als auch politisch: Ministerpräsidentin Theresa May verliert zusehends an Rückhalt. (c) REUTERS (Peter Nicholls)
In Südostasien sind Populismus und Nationalismus in den unterschiedlichsten Ausprägungen auf dem Vormarsch. Auf den Philippinen unterminiert der Präsident Rodrigo Duterte (im Bild) mit seinen Hetzreden den Rechtsstaat. In Indonesien und Malaysia zeigen sich verstärkt islamistische Tendenzen; da und dort geraten chinesische Minderheiten ins Visier. Das kann zu grenzübergreifenden Auseinandersetzungen führen und bestehende Territorialkonflikte schüren. In Indien könnte Präsident Narendra Modi versucht sein, den Hindu-Nationalismus anzuheizen, um seine Chancen auf eine Wiederwahl 2019 zu erhöhen. APA/AFP/NOEL CELIS
Die Migrationskrise hat die mannigfaltigen Problemlagen des Nachbarkontinents ins europäische Bewusstsein gerufen: hohes Bevölkerungswachstum, hohe Arbeitslosigkeit, Dürre, korrupte Regierungen und radikal-islamistische Gruppen von Somalia bis Nordafrika. Eine explosive Mischung. APA/AFP/YONAS TADESSE
10 Krisen, die die Welt bedrohen
Mehrere Gedanken zur EU
In seinem Redetext, den er allerdings nicht zur Gänze vortrug, ventilierte Österreichs Kanzler einige Gedanken für eine Reform der EU. Und es wäre nicht Sebastian Kurz, wenn sein erster Gedanke nicht seinem Leibthema gegolten hätte: Er fordert einen schlagkräftigen gemeinsamen Schutz der EU-Außengrenze, nur so könnten die Binnengrenzen wieder abgebaut werden. Zweitens tritt Kurz, und das ist für den Kanzler eines neutralen Staates außergewöhnlich, für eine Vertiefung der europäischen Sicherheits- und Verteidigungspolitik ein: „Wenn wir langfristig den Frieden in und um Europa sichern und ein ernstgenommener Partner auf der internationalen Ebene sein wollen, dann muss eine verstärkte militärische und polizeiliche Kooperation ganz klar unser gemeinsames Ziel sein.“ Die Neutralität dürfe Österreich nicht daran hindern, in dieser großen gemeinsamen europäischen Frage eine Linie zu finden.
Nur noch halb so viele Kommissare
Drittens will Kurz der EU eine Diät verordnen. Europa müsse schlanker werden. Den Ausstieg der britischen Nettozahler möchte Kurz zum Anlass nehmen, um Strukturen der EU zukunftsfit zu machen. Nach dem Brexit solle das EU-Parlament mit weniger Abgeordneten auskommen. Auch die Kommission kann sich Kurz mit der Hälfte der jetzigen 28 Kommissare vorstellen.
Viertens schwebt ihm eine groß angelegte Deregulierungs-Offensive. Denn es habe sich in der EU eine massive Bürokratie- und Regulierungsmaschinerie entwickelt. „Wir brauchen keine Regeln für die richtige Farbe der Pommes Frites, die Zutaten auf der Speisekarte oder das Olivenölkännchen am Mittagstisch.“
Für ein jüdisch-christlichs Europa
Fünftens drängt Kurz darauf, die Chancen der Digitalisierung zu nutzen. Europa habe in den vergangenen 20 Jahren vieles verschlafen. Die größten Internet-Konzerne kämen fast alle aus den USA oder China, aber nicht aus Europa. Die Europäer müssten sicherheitshalber ihr Bildungssystem überdenken und eine neue unternehmerische Gründerkultur etablieren.
Sechstens plädiert Kurz für den Ausbau erneuerbarer Energien, um nicht von Importen abhängig zu sein und die Umwelt zu schützen. Und siebtens ruft er auf, „endlich entschlossen unser christlich- jüdisches und durch die Aufklärung geprägtes Europa zu verteidigen.“ Gelegenheit, seine Vorstellung voranzutreiben, wird Sebastian Kurz spätestens in der zweiten Jahreshälfte haben. Dann übernimmt Österreich den Ratsvorsitz in der EU.
Der Verweis auf Europas christlich-jüdische Werte sorgte kurz für Unruhe auf der Konferenz, Charles Grant, Direktor des Centre for European Reform, fragte, ob dies der Integration von Muslimen förderlich sei. Darauf angesprochen, Frankreichs Premier Edouard Philippe auf die laizistische Ausprägung seines Staates, fügte jedoch hinzu: „Wir kennen unsere Geschichte.“
Die Europäer machen sich bei der Sicherheitskonferenz im München selbst Mut und geloben, an ihrer Weltpolitikfähigkeit zu arbeiten. Russland und die USA schlagen raue Töne an. Abwesend ist die neue große Weltmacht: China.
Die britische Premierministerin hat ein Sicherheitsabkommen mit der EU nach dem Brexit vorgeschlagen. EU-Kommissionspräsident Juncker hat Vorbehalte gegen einen Ausbau der Verteidigungspolitik zurückgewiesen. Gabriel warb für ein starkes Europa
Vertreter von Regierungen, Unternehmen und anderen Organisationen haben an der "Conference on Cyber Conflict" im Rahmen der Münchner Sicherheitstage teilgenommen. Ein Thema war der große Angriff auf die IT-Infrastruktur in Estland.
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