Die CDU-Chefin Angela Merkel besänftigt die Basis mit ihrer Ministerliste. Eine überwältigende Mehrheit der Delegierten nickt schließlich den Koalitionsvertrag ab.
Wien/Berlin. Als die Kanzlerin „Thomas de Maizière“ sagt, springen die CDU-Delegierten in Berlin-Kreuzberg von ihren Stühlen. Der Adressat der Standing Ovations steht nun selbst auf, er verbeugt sich, die Rührung ist ihm anzusehen, und wenn nicht alles täuscht, sind die Augen ein wenig gerötet. Seit Anbeginn der Ära Angela Merkel, seit 2005, saß de Maizière am Kabinettstisch. Nun muss der loyale Merkelianer der ersten Stunde gehen, weil die Kanzlerin sein Innenministerium der Schwesterpartei CSU überlässt.
Der Beifall für scheidende CDU-Minister bildet den atmosphärischen Höhepunkt in Merkels Rede. Für ihre inhaltliche Verteidigung des Koalitionsvertrags gibt es nur pflichtschuldigen Applaus. Auch im Jahr 18 an der CDU-Spitze zählen mitreißende Reden nicht zum Repertoire der Kanzlerin. Ein feines Gespür für Personalfragen dagegen schon. In den vergangenen Tagen hat die Kanzlerin alles getan, damit dieser Parteitag nicht aus dem Ruder läuft. Und ihr Plan ist aufgegangen.
Der zuletzt aufmüpfige Paul Ziemiak lobte gestern umgehend die „starke Rede“ der Kanzlerin. Zwar verlangte der Chef der Jungen Union wie ein paar weitere Redner, die CDU müsse wieder mehr streiten und ihr Profil schärfen. Aber dazu ist er beim Parteitag selbst nicht bereit. Das Rebelliönchen ist – vorerst – abgesagt.
Noch vor wenigen Tagen brodelte es an der CDU-Basis: wegen des schlechtesten Wahlergebnisses seit 1949, wegen Merkels Uneinsichtigkeit kurz danach, als sie erklärte, sie wisse nicht, was man im Wahlkampf anders hätte machen können, wegen der Aufgabe des Finanzministeriums in den Koalitionsverhandlungen mit der SPD, wegen einer ersten kolportierten CDU-Ministerliste, auf der sich kein parteiinterner Kritiker Merkels fand. Also reagierte die Kanzlerin. Sie baute die CDU um.
Viele neue Gesichter
Zuerst kündigte sie an, den unbeliebten Generalsekretär Peter Tauber gegen Annegret Kramp-Karrenbauer auszutauschen. Die Saarländerin ist eine loyale Vertraute der Kanzlerin (Spitzname: Mini-Merkel), die aber mit ihrem sozial-konservativen Profil lagerübergreifend Anhänger hat. Dann ordnete Merkel die möglichen Kandidaten für die CDU-Ministerliste wie auf einem Schachbrett. Irgendwann hatte sie die Aufstellung gefunden, die ihre Kritiker schlagartig und flügelübergreifend verstummen ließ. Die Hälfte, also drei der sechs Minister sind Frauen. So wie es die Kanzlerin versprochen hat. Es gibt eine Blutauffrischung: Vier der sechs Minister sind unter 50 Jahre alt. Bisher war Hermann Gröhe, 57 Jahre alt, das Küken in der CDU-Ministerriege. Und drittens und am wichtigsten: Merkel besänftigte den aufbegehrenden Parteinachwuchs, der eine „personelle Neuaufstellung“ forderte – und damit ein Ministeramt für seinen konservativen Hoffnungsträger Jens Spahn meinte.
Merkel belohnt Aufmüpfigkeit nicht. Eigentlich. Aber an Spahn, einem frühen Kritiker ihrer Flüchtlingspolitik, kam sie nicht mehr vorbei. Also machte sie den Freund von Kanzler Sebastian Kurz zum Gesundheitsminister. Das ergibt Sinn: Spahn hatte sich einst als junger Gesundheitspolitiker profiliert, bevor er so wie Kurz Migration als Leibthema entdeckte. Für große Erklärungen zur Flüchtlingspolitik bleibt dem 37-Jährigen künftig jedoch kaum noch Zeit. Das ist möglicherweise auch so gewollt. Spahn erbt ein mächtiges Ressort, in dem sich die Probleme häufen: vom Pflegenotstand bis zum aufgeschobenen Streit über die von der SPD beklagte „Zweiklassenmedizin“, die es nach CDU-Ansicht gar nicht gibt.
Das Wirtschaftsministerium soll Peter Altmaier führen, Merkels „Ein-Mann-Armee“. Seinen Job als Kanzleramtsminister übernimmt der ebenso loyale und etwas öffentlichkeitsscheue Merkelianer Helge Braun. Die bei der CDU-Basis populäre Julia Klöckner, eine Winzertochter und Ex-Weinkönigin, hievt Merkel an die Spitze des Landwirtschaftsministeriums. Ursula von der Leyen bleibt weiter für den Sanierungsfall Bundeswehr zuständig. Da noch jede Ministerliste Merkels eine Überraschung geboten hat, wird die in der Öffentlichkeit unbekannte Anja Karliczek, bisher Geschäftsführerin der Fraktion, nun Bildungsministerin.
Populäre Kramp-Karrenbauer
So gibt es auf dem Parteitag zwar Kritik, aber nie aus der ersten Reihe. Spahn zum Beispiel gibt sich ganz handzahm. Die Große Koalition nicken schließlich fast 97 Prozent der rund 1000 Delegierten ab. Es gibt nur 27 Gegenstimmen. Kramp-Karrenbauer wird nach umjubelter Rede mit 98,87 Prozent zur Generalsekretärin gewählt. Spätestens jetzt ist sie eine heiße Kandidatin für Merkels Nachfolge. Dann endet der Parteitag, der mit einem Gottesdienst begonnen hat.
Möglicherweise betete dabei der eine oder andere CDU-Delegierte, dass auch die SPD-Mitglieder der Großen Koalition zustimmen. Bis 2. März haben sie Zeit.
("Die Presse", Print-Ausgabe, 27.02.2018)