Nowitschok: Die "Mutter aller Gifte"

Der Kampfstoff auf Basis des älteren VX wurde noch in den letzten Jahren der UdSSR trotz Entspannung mit dem Westen geschaffen.

London/Moskau. Jener Stoff, mit dem der russische Ex-Spion Sergej Skripal sowie seine Tochter Julia (33) vergiftet wurden, soll das momentan wohl stärkste von Menschenhand erschaffene Gift sein: Das gab die britische Premierministerin, Teresa May, in der Nacht auf Dienstag bekannt. Die Substanz „Nowitschok“ (Neuling) sei eine Kriegswaffe, die auf britischem Gebiet eingesetzt wurde, so May, die Moskau ein Ultimatum bis Dienstagmitternacht gestellt hatte, sich zu erklären (siehe links).

Nowitschok war Ende der 1980er ungeachtet der Entspannungspolitik gegenüber dem Westen und mit Wissen des sowjetischen Präsidenten Michail Gorbatschow entwickelt worden. Das hat schon ab 1991 der Wissenschaftler Vil Mirzayanow, der im sowjetrussischen Chemiewaffenprogramm tätig war und seit mehr als 20 Jahren in den USA lebt, enthüllt. Demnach seien Produkte der Nowitschok-Serie fünf- bis zehn Mal stärker als das namentlich eher bekanntere, in den 1950ern in England auf Basis von Phosphorsäure-Estern entwickelte VX; das war bei Entwicklungen neuer Pestizide kreiert worden.

Was heißt dieser Giftigkeitsvergleich konkret? Laut Federation of American Scientists besteht eine 50-prozentige Todeswahrscheinlichkeit für einen Mann von 70 Kilogramm nach direktem Hautkontakt mit zehn Milligramm VX. Das ist etwa die Masse einer Waldameise; ein Pfefferkorn wiegt um die 30 Milligramm. Und von Nowitschok genügen ein Fünftel bis ein Zehntel davon.

Binäre Chemiewaffe

Das pulvrige Gift, dessen exakte chemische Struktur bisher im Westen unbekannt war (das könnte sich nun ändern), zerstört das Nervensystem und bewirkt Erstickungstod und/oder Herzinfarkt. Wer die Vergiftung übersteht, dürfte sich nie ganz erholen.

Es ist eine „binäre“ Waffe, entsteht also erst beim Einsatz durch Mischung recht harmloser Stoffe, ist bis dahin also nicht bemerkbar. Russland wollte so angeblich die C-Waffenkonvention unterlaufen, soll die Erzeugung aber nur experimentell betrieben und Mitte der 90er gestoppt haben. (wg)

Ausführlich: diepresse.com/nowitschok

("Die Presse", Print-Ausgabe, 14.03.2018)

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