Der Ex-Häftling ist „umgezogen“: Berlin feiert Deniz Yücel

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Yücels erster öffentlicher Auftritt nach einem Jahr in türkischer Haft, nach einem Jahr als Mitgrund für das schwer angeschlagene deutsch-türkische Verhältnis, der erste öffentliche Auftritt also war auf einer Lesung und anschließender Party in seinem alten Kiez Berlin-Kreuzberg.

Als Deniz Yücel noch in Haft saß, hat sein vor allem in Berlin wirkender „Freundeskreis Free Deniz“ auf sozialen Medien, in Interviews, auf Veranstaltungen und Lesungen vehement die Freilassung des deutsch-türkischen Journalisten gefordert. Nun ist Yücel frei, und freundlicherweise habe ihn der „Freundeskreis“ als „Ehrenmitglied“ in die Gruppe aufgenommen. „Hey Özgürlük!“, also ein Hey auf die Freiheit, flimmerte passend dazu auf der Leinwand hinter Yücel, als er sich Samstag Abend bei seinem „Freundeskreis“, seiner Frau Dilek Mayatürk Yücel, seinem Anwalt Veysel Ok und seinen Unterstützern bedankte. Yücels erster öffentlicher Auftritt nach einem Jahr in türkischer Haft, nach einem Jahr als Mitgrund für das schwer angeschlagene deutsch-türkische Verhältnis, nach einem Jahr ohne jegliche Anklageschrift, der erste öffentliche Auftritt also war auf einer Lesung und anschließender Party in seinem alten Kiez Berlin-Kreuzberg - was und wo sonst?

Nun, es gehe ihm gut, „wirklich gut“, gab Yücel eine Antwort auf die ihm im vergangenen Jahr meist gestellte Frage. All die Lesungen, Konzerte, Autokorsos, die Briefe, selbst wenn sie ihn nicht erreicht haben, hätten ihm Kraft gegeben, „es war nicht umsonst“. Briefe und offizielle Meldungen erreichen offenbar noch immer das Gefängnis Silivri nahe Istanbul, wo Yücel einsaß, und die seien nun weiter nach Berlin versendet worden mit dem Vermerk „umgezogen“, schilderte die Moderatorin und taz-Journalistin Doris Akrap. Sie war im vergangenen Jahr Yücels rechte Hand da draußen in der Welt, kein einfacher Job, wie sie launig erzählte: Erstens, weil ihr Yücel mit 500 handgeschriebenen Seiten Anweisungen für sein neues Buch durchgab und zweitens, weil Yücel ein Pedant ist und beim Redigieren jedes doppelte Leerzeichen ankritzelte. „Wir sind ja nicht zum Spaß hier“ heißt seine kürzlich erschienene Textsammlung (Verlag Nautilius), aus der der bekannteste Ex-Häftling zwischen Istanbul und Berlin am Samstag einige Stellen vorlas, etwa einen bitterbösen Text über Österreich, über den ein Thomas Bernhard sicherlich gejauchzt hätte. Ursprünglich habe er das Buch „‚Die Verhaftung von Deniz Yücel bereitet uns große Sorgen.‘ Angela Merkel“ nennen wollen - eine fröhliche Stichelei an Merkels Türkei-Politik -, aber das habe man dann doch verworfen.

Das Buch bündelt alte und neue Artikel, so beschreibt Yücel etwa kurzweilig von den „Deutsch für Ausländer“-Kursen, die er als Kind in Hessen besuchen musste, und, nicht unskurril: „Mathe für Ausländer“. Er beschreibt, warum Ossis in Deutschland doch ein bisschen mehr Ausländer sind als Türken im Westen, und wie ihm die Vorstellung gefällt, dass der türkische Präsident Erdogan ihn deswegen zeitig zum Erscheinen des Buches hinausgelassen hat, weil er verhindern wollte, dass Yücels Buch quasi aus dem Gefängnis heraus Nummer eins der Buchcharts wird.

Immer weiterkämpfen sei jedenfalls Yücels Motto in Silivri gewesen, jeden zweiten Tag habe er seinem Anwalt eine neue Projektidee präsentiert, dieses und jenes geschrieben, gelesen, nachgedacht, „Hauptsache man ergibt sich nicht.“ Bekannt ist bereits die Episode, wie er einen Stift in die Gefängniszelle schmuggelte und die Seiten des Buches „Der kleine Prinz“ vollkritzelte, weil er zu Beginn der U-Haft kein Papier haben durfte. Das Gefängnis sei ein steriler Ort gewesen („Stuttgart war das Vorbild beim Bauen“), ohne jegliche Farbe, lediglich das bunte Briefpapier von seiner Frau und Bünde von Dill und Petersilie, die er sich im „Knastladen“ kaufte, seien Farbtupfer gewesen. 10 Fotos dürfe man besitzen, sie allerdings nicht an die Wand kleben. Ein Ort, der jegliche Lebenslust abtöten soll. Und dennoch: „Wir sind unter dem selben Himmel“, schrieb Yücels Frau nach Silivri, und viele weitere freundliche Zeilen fremder Menschen hätten ihn durchgetragen. Nette Post sei schließlich nicht selbstverständlich, früher habe er ja rassistische Hass-Mails bekommen, von Leuten, „die uns nicht deswegen hassen, was wir getan haben, sondern was wir sind“.

Am Ende der Lesung holte Yücel noch seine Unterstützer auf die Bühne, auch den TV-Moderator Jan Böhmermann, der seinerseits mit einem „Schmähgedicht“ Ankara auf die Palme trieb. „Ey“, rief ihm Yücel quer durch den Saal zu, „du machst einen dummen Witz und ich sitz‘ ein Jahr im Knast. Komm her!“ Und so war der „Freundeskreis“ in seinem Kiez wieder vereint. 

(duö)

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