Israel verteidigt harten Kurs

Weltuntergangsstimmung an der Grenze zwischen Israel und dem Gazastreifen. Ein Bub hält während der massiven Proteste eine palästinensische Fahne hoch.
Weltuntergangsstimmung an der Grenze zwischen Israel und dem Gazastreifen. Ein Bub hält während der massiven Proteste eine palästinensische Fahne hoch. REUTERS
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Israels Verteidigungsminister, Avigdor Lieberman, weist die UN-Forderungen nach einer Untersuchung der blutigen Zwischenfälle zurück.

Jerusalem. Auch nach den tödlichen Schüssen auf palästinensische Demonstranten im Gazastreifen hält Israels Regierung unverändert an dem harten Vorgehen der Armee fest. Man werde sich auch künftig „nach dem Prinzip der eisernen Mauer“ zur Wehr setzen, kündigte Verteidigungsminister Avigdor Lieberman an. Die Palästinenser planen, ihre Protestaktion „Marsch der Rückkehr“ noch weitere sechs Wochen fortzusetzen. UNO-Generalsekretär Antonio Guterres forderte eine Untersuchung der blutigen Vorfälle, bei denen bisher mindestens 18 Palästinenser getötet worden sind. Lieberman lehnte Ermittlungen ab und riet stattdessen dazu, „den Tod von einer halben Million Menschen in Syrien zu untersuchen, und Hunderttausender Menschen im Jemen, in Libyen und im Sudan“.

Mit den Unruhen im Grenzgebiet lenken die Palästinenser die Aufmerksamkeit auf die wachsende Not im Gazastreifen. Knapp drei Viertel der Menschen leben in den Flüchtlingslagern und sind auf Nahrungsmittelhilfen angewiesen. US-Präsident Donald Trump kürzte jüngst die Zuwendungen der USA an die UN-Flüchtlingshilfe. Der Protest der Palästinenser ist auch ein Hilferuf an die Welt.

„Terrorakt“ oder „Kriegsverbrechen“

Während Israels Armee die im Gazastreifen herrschende radikalislamische Hamas für das Blutbad verantwortlich macht und von einem „organisierten Terrorakt“ sprach, hielten sich die Palästinenser an die Version, es handelte sich bei den Toten um Unschuldige. „Es kam zu keinerlei Gewalt, es sind keine Steine geworfen und keine Kugeln abgeschossen worden“, erklärte Nabil Shaat, ein enger Berater von Palästinenserpräsident Mahmoud Abbas. Sämtliche Todesopfer seien im Gazastreifen erschossen worden, „nicht auf israelischem Boden“. Shaat nannte Israels Generalstabschef, Gadi Eisenkot, „einen Mörder“ und sprach von „einem Kriegsverbrechen“.

Verbales Duell mit Erdoğan

Auch in Kairo und Teheran wurde scharfe Kritik gegen das Vorgehen der israelischen Sicherheitskräfte laut, die einhundert Scharfschützen in der Grenzregion postiert hatten, um ein Eindringen der Menschenmassen oder auch einzelner Palästinenser zu verhindern.

Israels Regierungschef, Benjamin Netanjahu, reagierte besonders empfindlich auf die Kritik des türkischen Staatspräsidenten, Recep Tayyip Erdoğan, der die Vorfälle als „Massaker“ bezeichnet und Israel einen „Terrorstaat“ genannt hatte.

Netanjahu kommentierte auf seiner Facebook-Seite, dass sich „die moralischste Armee der Welt keine Moralpredigten von jemandem anhören wird, der selbst seit Jahren die Zivilbevölkerung ohne Unterscheidung bombardiert“.

Netanjahu kommen die neuen Unruhen angesichts der aktuellen Korruptionsuntersuchungen vermutlich gar nicht so ungelegen. Die polizeilichen Verhöre auch seiner Frau, Sara, und seines Sohnes Jair, die beide in eine Bestechungsaffäre verwickelt sein sollen, haben in den vergangenen Wochen wiederholt die Schlagzeilen bestimmt. Dem Regierungschef droht in zwei weiteren Fällen eine Anklage. Der Protest der Palästinenser lenkt die Öffentlichkeit zumindest temporär von den Vorwürfen gegen ihn ab.

„Zwei Völker, eine Hoffnung“

Auch die deutsche Regierung äußerte sich besorgt angesichts der erneuten Eskalation im Nahen Osten und rief zur Besonnenheit auf: „Die Ausübung des Rechts auf Meinungsäußerung und friedlichen Protest darf nicht missbraucht werden, um die legitimen Sicherheitsinteressen Israels an der Grenze zu den palästinensischen Gebieten zu verletzen. Die Verteidigung dieser legitimen Interessen muss gleichwohl verhältnismäßig erfolgen.“

In der israelischen Metropole Tel Aviv zogen am Sonntagabend nur ein paar Hundert Friedensaktivisten auf die Straße und forderten, den Beschuss auf die palästinensischen Demonstranten einzustellen. „Wir wollen keinen neuen Krieg“ stand auf ihren Plakaten – und „Zwei Völker, eine Hoffnung“.

Hamas-Protest dauert bis 15. Mai

Die antizionistisch-arabische Partei Vereinte Liste und die links-liberale Meretz sowie mehrere kleinere Friedensorganisationen hatten zu dem Protest aufgerufen. Die überwiegende Mehrheit der jüdischen Bevölkerung in Israel zeigte für die Vorgänge im Süden des Landes kaum Interesse.

Der „Große Marsch der Rückkehr“ soll, laut Hamas, an das Schicksal der vor genau 70 Jahren aus Israel vertriebenen Palästinenser erinnern, die nun das Recht auf ihre Rückkehr in die Heimat fordern. Die Protestaktion mit fünf Zeltstädten im Grenzgebiet zu Israel soll bis zum 15. Mai andauern, dem Tag der sogenannten Nakba, mit dem die Palästinenser an den Beginn ihrer Flucht 1948 erinnern, als der Staat Israel gegründet wurde.

AUF EINEN BLICK

Bei den Demonstrationen an der Grenze zwischen Israel und dem Gazastreifen wurden bisher mindestens 18 Palästinenser getötet und 1400 verletzt. Die islamistische Hamas, die im Gazastreifen regiert, hat zu den Kundgebungen aufgerufen. Bei den Massenprotesten vor den israelischen Grenzanlagen versuchten Demonstranten auch immer wieder, die Sperren zu durchbrechen. Das israelische Militär setzte Tränengas, aber auch scharfe Munition ein. Der israelische Verteidigungsminister, Avigdor Lieberman, kündigte an, am „Prinzip der eisernen Mauer“ festzuhalten.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 03.04.2018)

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