Armenien: Ein bärtiger Herausforderer ringt um die Macht

Vom Anzugträger zum Helden der Straße: Nikol Paschinjan (42).
Vom Anzugträger zum Helden der Straße: Nikol Paschinjan (42). (c) imago/ITAR-TASS (Artyom Geodakyan)
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Nikol Paschinjan ist zum Symbol der Protestbewegung geworden. Doch noch ist unklar, ob es dem Oppositionsaktivisten gelingen wird, das politische System der Südkaukasusrepublik nachhaltig zu verändern.

Moskau. Am Donnerstag ist Nikol Paschinjan seinem Ziel ein Stück nähergekommen. Das Parlament kündigte auf seiner Website an, am 1. Mai einen neuen Regierungschef zu wählen. Zuvor hatte der Protestanführer den amtsführenden Premier, Karen Karapetjan von der regierenden Republikanischen Partei, gewarnt, dass dieser nicht die Mehrheit der Bürger hinter sich hätte. Der 42-jährige Paschinjan setzt weiter auf den Druck der Straße. Für Donnerstagabend waren wieder Demonstrationen angekündigt. Von der Partei des zurückgetretenen Premiers Sersch Sargsjan fordert er den Machtverzicht.

Die bisherige Koalitionsregierung zeigt indes Auflösungserscheinungen: Die nationalistische Daschnak-Partei hat sich offenbar auf die Seite der Protestierenden geschlagen, ebenso wie ein paar republikanische Abgeordnete. Paschinjan hat allerdings nicht viel Zeit, um sich als „Kandidat des Volkes“ in Stellung zu bringen und seine Unterstützung zu konsolidieren. Ob es für seine Wahl die notwendige Stimmmehrheit gibt, ist Beobachtern in Jerewan zufolge noch absolut unklar. Er sei bereit zu regieren, wenn das Volk es wolle, hat Paschinjan vor Demonstranten in Jerewan bekräftigt.

Der Politiker ist zum Gesicht der armenischen Antiregierungsproteste geworden: ein Mann mit schwarzem Käppi und grau meliertem Bart, einer wortgewaltigen Stimme und verbundenen rechten Hand, eine Verletzung, die er sich beim Sturz gegen einen Stacheldraht zugezogen hat. Das Outfit ist strategisch gewählt. In anderen Lebenslagen trug Paschinjan durchaus Anzüge. Er ist Politiker des liberalen Parteibündnisses Elk (Ausweg), das neun von 105 Sitzen im armenischen Parlament innehat. Der frühere Journalist einer Oppositionszeitung gilt als politischer Nachfolger des ersten armenischen Präsidenten, Levon Ter-Petrosjan. Paschinjan hat mit seiner moskaukritischen Linie eine Anhängerschaft um sich geschart. So kritisierte er etwa die Regierung für ihren Schritt, vor fünf Jahren unter dem Druck Moskaus der Eurasischen Union beizutreten.

Viel ist in diesen Tagen auch von der Kampfansage Paschinjans an den Karabach-Clan die Rede. Aus Berg-Karabach, der von armenischen Kräften im Krieg in den 1990er-Jahren eingenommenen aserbaidschanischen Exklave, stammen die einflussreichen Hardliner-Politiker der vergangenen beiden Jahrzehnte, darunter Sargsjan.

Russland beobachtet die Vorgänge in Jerewan genau. Wenn sich politische Umbrüche schon nicht mehr aufhalten lassen, so redet man nun auf diplomatischem Weg über die Zukunft der kleinen Republik mit. Gestern reisten der armenische Außenminister und ein Vizepremier zu Gesprächen nach Moskau. Auch Paschinjan sagte, dass sich seine politische Bewegung nicht gegen Moskau richte, sondern „gegen Korruption und ineffizientes Regieren“.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 27.04.2018)

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