Spaniens Regierungschef steht vor der Abwahl

Mariano Rajoy, Spaniens konservativer Premier.
Mariano Rajoy, Spaniens konservativer Premier.APA/AFP/OSCAR DEL POZO
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Wegen einer Korruptionsaffäre in der konservativen Volkspartei PP wackelt die spanische Regierung. Das Parlament in Madrid will am Freitag über die Zukunft des Ministerpräsidenten, Rajoy, abstimmen. Am Donnerstag zeichnete sich eine Mehrheit für dessen Sturz ab.

Madrid. Schlittert nach Italien nun auch noch Spanien in die Krise? Nach massiven Korruptionsvorwürfen gegen die konservative Regierung wackelt der Stuhl von Ministerpräsident Mariano Rajoy. Es ist ungewiss, ob er am heutigen Freitag ein Misstrauensvotum im spanischen Parlament überstehen wird. Verliert Rajoy, hätte dies zunächst einen Regierungswechsel und mittelfristig wohl auch eine Neuwahl zur Folge. Angesichts der schwierigen Lage wurde am Donnerstag nicht ausgeschlossen, dass Rajoy doch noch freiwillig seinen Hut nimmt.

„Treten Sie zurück!“, rief Spaniens sozialistischer Oppositionschef, Pedro Sánchez, am Donnerstag im Parlament dem konservativen Rajoy zu, der seit 2016 mit einem Minderheitskabinett regiert. „Sie schaden unserem Land.“ Vergangene Woche hatte Spaniens Nationaler Gerichtshof hohe Haftstrafen gegen 29 konservative Politiker und parteinahe Unternehmer wegen Bestechlichkeit verhängt. Die Richter waren zu dem Schluss gekommen, dass Rajoys Volkspartei Teil eines „wirkungsvollen Systems der institutionellen Korruption“ gewesen sei. Die Aussage des langjährigen Parteichefs Rajoy, von diesem Sumpf nichts gewusst zu haben, hatten die Richter als unglaubwürdig eingestuft.

Sánchez hatte daraufhin einen Misstrauensantrag gegen Rajoy gestellt. Sollte der 46-jährige Sozialist die Misstrauensabstimmung gewinnen, würde er automatisch neuer Ministerpräsident Spaniens werden. Sánchez kündigte an, dass er in diesem Fall Rajoys Haushaltsplan respektieren werde, „um die Regierbarkeit des Landes zu garantieren“. Zu einem späteren Zeitpunkt will Sánchez vorzeitige Neuwahlen ansetzen.

Damit sein Misstrauensantrag erfolgreich ist, muss Sánchez die absolute Mehrheit der Parlamentarier für einen Machtwechsel gewinnen. In Spaniens Parlament sitzen 350 Abgeordnete, die absolute Mehrheit liegt bei 176 Stimmen.

Am Donnerstag hatte Sánchez die Zustimmung seiner sozialistischen Fraktion und der linksalternativen Protestpartei Podemos sicher, was zusammen 156 Stimmen ausmacht. Den Ausschlag werden vermutlich die kleinen nationalistischen Parteien aus dem Baskenland und aus Katalonien geben, die nicht abgeneigt scheinen, Sánchez zu unterstützen. Die Baskisch-Nationalistische Partei (PNV) kündigte am Donnerstagabend an, ihre fünf Abgeordneten würden gegen Rajoy stimmen. Auch die katalonischen Separatisten wollten sich gegen ihn aussprechen. Damit wurde seine Abwahl immer wahrscheinlicher.

Rajoys Minderheitsregierung konnte bisher mit der Hilfe der 32 liberalen Abgeordneten der bürgerlichen Partei Ciudadanos rechnen, um die Mehrheit im Parlament zu sichern. Doch nach dem Gerichtsurteil gingen auch die Liberalen zu Rajoy auf Distanz: „Die Korruption der Volkspartei hat diese Legislaturperiode liquidiert“, sagte Ciudadanos-Sprecher José Manuel Villegas.

Doch für Sánchez' Misstrauensantrag, der den Sozialisten zum neuen Premier machen würde, wollen die Liberalen trotzdem nicht stimmen. Sie fordern Neuwahlen. Dort könnten sie mit einem kräftigen Stimmenzuwachs rechnen. Nach allen Umfragen könnte Ciudadanos die Sozialisten und Rajoys Konservative übertrumpfen. Die Liberalen kündigten daher an, dass sie beim Scheitern des Misstrauensantrags mit allen anderen Oppositionsparteien Neuwahlen aushandeln wollen. Einen ähnlichen Plan hat auch die Protestbewegung Podemos.

Es galt als möglich, dass Rajoy in letzter Sekunde noch freiwillig das Handtuch werfen könnte. Dann gäbe es keine Neuwahl, sondern die Regierung würde so lang provisorisch im Amt bleiben, bis sich das ziemlich zersplitterte Parlament auf einen neuen Premier geeinigt hat. Das kann dauern: Beim letzten Mal brauchten die Abgeordneten 315 Tage, bis sie eine Mehrheit für eine neue Regierung zusammenhatten. An deren Spitze stand dann Mariano Rajoy.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 01.06.2018)

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