Athen und Skopje wollen den Konflikt um den Namen der früheren jugoslawischen Republik beenden, die Einigung soll noch in dieser Woche finalisiert werden. Doch die Gegner einer Beilegung des Streits formieren sich bereits.
Athen. Im Windschatten der Italienkrise bahnte sich dieser Tage eine diplomatische Sensation an. Die Außenminister Griechenlands und Mazedoniens, Nikos Kotzias und Nikola Dimitrov, verkündeten Anfang der Woche eine Rahmenvereinbarung über ein umfassendes Lösungspaket zur Beilegung des Namensstreites zwischen den Ländern. Der Konflikt schwelt seit der Gründung Mazedoniens aus der Konkursmasse Jugoslawiens 1991. Am Mittwoch bestätigte Mazedoniens Premier Zoran Zaev auf einer Pressekonferenz, dass eine prinzipielle Lösung vorliege. Zaev und Griechenlands Premier Alexis Tsipras wollen noch diese Woche telefonisch letzte Details klären und die Vereinbarung absegnen. 25 Jahre nach Gründung des jungen Balkanstaates wäre damit eine schwer auf ihm lastende Hypothek beseitigt, der Weg zum Nato- und EU-Beitritt geebnet und die Region ein Stück stabiler geworden.
Die Gegner formierten sich umgehend. Mazedoniens Präsident Gjorge Ivanov von der oppositionellen VRMO schießt quer. Und auch radikale Nationalisten in Nordgriechenland drohten Premier Tsipras bereits mit einem „Hochverratsprozess“, falls das Wort „Mazedonien“ im neuen Namen enthalten sein sollte. Sie wehren sich dagegen, dass das Nachbarland heißen soll wie die nordgriechische Provinz Makedonien. Für 6. Juni ist in Thessaloniki die nächste Großdemonstration gegen eine Lösung geplant. Im Februar gingen um die 140.000 Menschen auf die Straße – die größte Demonstration der letzten Jahrzehnte.
Über den Inhalt der Vereinbarung herrscht offiziell noch Stillschweigen, aber in mazedonischen und griechischen Medien werden bereits Grundzüge präsentiert. Der Name soll „Nord-Mazedonien“ lauten, mit der Zweit-Variante „Ober-Mazedonien“ oder „Neu-Mazedonien“. Wichtig für Griechenland ist, dass der neue Name sowohl im Inland als auch im Ausland Gültigkeit hat, also „erga omnes“ verwendet wird. Das macht in Skopje eine Verfassungsänderung nötig, da der bisherige Name laut Verfassung bisher „Republik Mazedonien“ lautet. Sprache und Identität blieben „mazedonisch“, versicherte Zaev. Der mazedonische Premier will die Abmachung noch vor der Nato-Konferenz im Juli vor das Parlament bringen, um den Beitritt des Landes zur Allianz zu ermöglichen. Griechenland hat einen solchen bisher wegen des Namensstreits blockiert. Im September oder Oktober soll dann eine Volksabstimmung in Mazedonien folgen.
Es bleiben noch offene Punkte, etwa welchen Namen die „mazedonische“ Kirche tragen soll. Letzteres war Anlass dafür, dass Griechenlands ansonsten gemäßigter Erzbischof Hieronymos sich zeitweise störrisch im Namensstreit zeigte. In der Folge aber trat er dafür ein, dass sich sein Klerus von Demonstrationen fernhalten sollte – was besonders von Anthimos, dem streitbaren Metropoliten von Thessaloniki, ignoriert wurde.
Die Kirche als Hüter der Identität?
Die griechische Kirche mischt seit Beginn beim Namensstreit mit, stets sieht sie sich dabei als Hüter der griechischen Identität. Schließlich stand am Anfang der „mazedonischen Frage“ ein Kirchenkampf. Im osmanischen Mazedonien wurde es den Diözesen vom Sultan freigestellt, sich vom griechischen Patriarchen in Konstantinopel loszusagen und der slawischen bulgarischen Kirche anzuschließen, wenn mehr als zwei Drittel der Gläubigen dafür waren. Diese „Slawisierung“ Mazedoniens wurde vom Patriarchen, der griechischen Kirche und dem griechischen Staat bekämpft. Der ursprüngliche Glaubens- und Schulkampf eskalierte rasch zu einem brutalen Kleinkrieg serbischer, bulgarischer und griechischer Banden um Identität und Sprache der Bevölkerung im osmanischen Mazedonien.
Nach den Balkankriegen 1912/1913 wurde das Gebiet zwischen Griechenland, Bulgarien und Serbien aufgeteilt. Umsiedlungen, viele griechische Kleinasienflüchtlinge und eine Gräzisierungspolitik veränderten die ethnische Zusammensetzung der Bevölkerung im griechischen Mazedonien radikal. Bis heute aber reagieren die Griechen allergisch auf alles, was den griechischen Charakter des Landesteiles infrage stellen könnte.
Von einer mazedonischen Nation, in Abgrenzung zu Bulgaren und Serben, ist seit Anfang des 20. Jahrhunderts die Rede. Jugoslawiens Führer Josip Broz Tito gründete dann 1946 die jugoslawische Teilrepublik Mazedonien. Er mag sie als Kern eines Mazedoniens gesehen haben, das auch Nordgriechenland umfasste. Doch es ist überzogen, wenn die Griechen dem jungen Erben des alten Jugoslawien heute, über 70 Jahre später, Expansionsgelüste nachsagen. Überzogen ist aber auch, wenn die slawischen Mazedonier ihre Wurzeln im alten griechischen Makedonien und seiner Symbolfigur, Alexander dem Großen, suchen.
("Die Presse", Print-Ausgabe, 01.06.2018)