Babiš bei Gedenkveranstaltung an Sowjeteinmarsch 1968 ausgepfiffen

Ein Foto im Spiegel: Andrej Babiš hielt eine Rede in Prag anlässlich des Einmarsches der Truppen des Warschauer Pakts in der damaligen Tschechoslowakei.
Ein Foto im Spiegel: Andrej Babiš hielt eine Rede in Prag anlässlich des Einmarsches der Truppen des Warschauer Pakts in der damaligen Tschechoslowakei. APA/AFP/MICHAL CIZEK
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In Tschechien und der Slowakei wurde der Niederschlagung des "Prager Frühlings" gedacht. Dem tschechischen Regierungschef Babiš wird vorgeworfen, für den kommunistischen Geheimdienst gearbeitet zu haben.

In Tschechien und der Slowakei ist am Dienstag mit einer Reihe von Veranstaltungen des 50. Jahrestags der Niederschlagung des Prager Frühlings 1968 gedacht worden. Bei einer Rede von Premier Andrej Babiš vor dem Gebäude des Tschechischen Rundfunks in Prag kam es zu Protesten. Für Kritik sorgte außerdem die Entscheidung des tschechischen Präsidenten Miloš Zeman, den Gedenkfeiern fernzubleiben.

Regierungschef Babiš wurde bei der zentralen Gedenkveranstaltung in Prag ausgepfiffen. Seine Ansprache wurde von Buh-Rufen, Pfiffen und "Schande" und "Stasi-Leute raus!"-Rufen gestört. Dem populistischen Ministerpräsidenten wird vorgeworfen, er habe einst mit dem kommunistischen Geheimdienst kollaboriert. Zudem wird seine Minderheitsregierung von der unreformierten Kommunistischen Partei (KSCM) toleriert.

"Brutaler Eingriff"

Die Niederschlagung des Prager Frühlings sei ein "brutaler Eingriff" gewesen, der für viele Jahre die Leben der Tschechen und Slowaken beeinflusst habe, sagte Babiš. Damit seien "große Hoffnungen" enttäuscht worden, weil die Menschen keine Diktatur vom sowjetischen Typ gewollt hätten. Vor dem Funkhaus im Prager Stadtzentrum legten auch weitere Spitzenpolitiker Kränze nieder.

Der Vorsitzende des Abgeordnetenhauses Radek Vondráček, der wie Babis der regierenden populistische Partei ANO angehört, wurde ebenfalls ausgepfiffen. Ohne Störungen verlief die Rede des sozialdemokratischen Chefs des Senats Milan Štěch. Der 21. August 1968 sei ein "tragisches Ereignis" gewesen. Die damalige Reformbewegung habe massenhaft Unterstützung in der Bevölkerung gehabt, umso größer sei aber dann die Enttäuschung gewesen, so Stech.

Vor dem Gebäude des Tschechischen (damals Tschechoslowakischen, Anm.) Rundfunks in Prag war es im August 1968 zu schweren Zusammenstößen zwischen Demonstranten und sowjetischen Soldaten mit mehreren Todesopfern gekommen. Zuvor waren in der Nacht vom 20. auf 21. August 1968 von der Sowjetunion geführten Truppen des Warschauer Paktes in die Tschechoslowakei einmarschiert, um Reformbemühungen unter dem Schlagwort "Sozialismus mit menschlichem Antlitz" unter KP-Chef Alexander Dubček niederzuschlagen. Bis Ende 1968 wurden nach Angaben von Historikern 137 tschechoslowakische Zivilisten getötet.

Slowakei erinnerte an Dubček

Die Person Dubček stand im Vordergrund der parallel stattfindenden Gedenkveranstaltungen in der Slowakei. Der 1992 an den Folgen eines Autounfalls gestorbene Slowake wird in seiner Heimat bis heute besonders verehrt. Nach dem Reformkommunisten sind der Platz vor dem Parlament in Bratislava und eine Universität in der Stadt Trenčín benannt.

"Der August 1968 ist eines jener Ereignisse, die künftigen Generationen immer wieder in Erinnerung gebracht werden muss", schrieb der slowakische Ministerpräsident Peter Pellegrini in der Zeitung "Hospodářské Noviny". Auf seinem Programm stand neben einer Kranzniederlegung an Dubčeks Grab in Bratislava die Eröffnung einer Fotoausstellung. Am Abend war eine Fernsehansprache des slowakischen Staatspräsidenten Andrej Kiska geplant, die auch im tschechischen Fernsehen übertragen wird.

Hintergrund ist, dass dessen tschechischer Amtskollege Zeman selbst am Dienstag an keiner der offiziellen Gedenkveranstaltungen teilnahm und auch keine Erklärung abgeben wollte. Damit sorgte der als prorussisch geltende Zeman bereits im Vorfeld für heftige Kritik in Tschechien.

Zeman-Kritik in den 1970er Jahren

Sein Sprecher Jiří Ovčáček begründete die Abwesenheit des Staatschefs mit den Worten, dass Zeman die Okkupation in der Zeit kritisiert habe, als der "Preis für Mut noch höher" gewesen sei. Zeman war wegen seiner Kritik am Einmarschs der Warschauer-Pakt-Truppen im Jahr 1970 aus der kommunistischen Partei ausgeschlossen und aus der Prager Wirtschaftsuniversität entlassen worden. Am Vorabend des Jubiläums hatten rund 300 Menschen vor der russischen Botschaft in Prag demonstriert.

Auch die EU-Spitzen würdigten den Prager Frühling: Die sowjetische Invasion in die damalige Tschechoslowakei 1968 habe die Reformbewegung zerschlagen, schrieb Ratspräsident Donald Tusk am Dienstag auf Twitter. "Aber die Sehnsucht nach Freiheit und Demokratie hat überlebt und ist die Essenz dessen, was Europa heute eint." EU-Kommissionspräsident Jean-Claude Juncker mahnte, dass "Freiheit und Respekt für Menschenrechte niemals als selbstverständlich betrachtet werden können".

Van der Bellen: "Bewährungsprobe der Neutralitätspolitik"

In Österreich meldeten sich Bundespräsident Alexander Van der Bellen und Bundeskanzler Sebastian Kurz (ÖVP) zu Wort. Die Tschechoslowakei habe sich " für einen Frühling lang ins freie Europa zurückgemeldet", bevor das Experiment brutal niedergewalzt wurde, erklärte Van der Bellen in einer Twitterbotschaft. Die Ideen des Prager Frühlings hätten aber weiter gelebt und 20 Jahre später zu einem Wendepunkt in der europäischen Geschichte geführt. Dies zeige, dass "es sich lohnt, für die Freiheit und die europäischen Grundwerte zu kämpfen". Für Österreich sei der Einmarsch von Warschauer-Pakt-Truppen "eine Bewährungsprobe seiner Neutralitätspolitik" gewesen, so Van der Bellen.

Kurz gedachte der Opfer des Einmarsches der Warschauer-Pakt-Truppen, die getötet wurden oder fliehen mussten. "Die Ereignisse von 1968 sind aber auch eine Mahnung, dass Demokratie und Meinungsfreiheit in Europa auch heute unseren aktiven Schutz benötigen", so Kurz im Kurznachrichtendienst.

(APA)

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