In der Chemnitzer „Höhle des Löwen“

Schweigeminute in Chemnitz. Links: Michael Kretschmer
Schweigeminute in Chemnitz. Links: Michael Kretschmer APA/AFP/ODD ANDERSEN
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Michael Kretschmer, Sachsens CDU-Ministerpräsident, stellte sich im Fußballstadion den kritischen Fragen der Bürger. Am Abend versammelten sich erneut Demonstranten.

Wien/Chemnitz. Nach den Ausschreitungen der vergangenen Tage war die Stimmung am Donnerstagabend in Chemnitz aufgeladen. Die Fronten waren bezogen: Neuerlich hatte die rechte Bürgerbewegung Pro Chemnitz eine Demonstration angemeldet, erneut wollte die Zivilgesellschaft ein Zeichen gegen die Radikalisierung in ihrer Stadt setzen. Erstmals hatte die sächsische Polizei indessen die Unterstützung der Sicherheitskräfte aus den Nachbarstaaten Bayern und Thüringen sowie aus anderen deutschen Bundesländern angefordert, nachdem sie zuvor einen ziemlich überforderten Eindruck hinterlassen hatte. Die von der Öffentlichkeit zerzausten Ordnungskräfte schienen jedenfalls für alle Eventualitäten gewappnet.

Dies waren die Rahmenbedingungen für einen politischen Showdown im Freistaat, in der ehemaligen Karl-Marx-Stadt: Erstmals kam auch Michael Kretschmer, Ministerpräsident Sachsens, in die aufgewühlte Stadt – und er wagte sich in die „Höhle des Löwen“, ins Stadioninnere des Chemnitzer FC, dessen ultrarechte Fangruppe Kaotic maßgeblich an der Eskalation der Ereignisse seit dem Tod des 35-jährigen Deutsch-Kubaners Daniel H. am Wochenende beteiligt war.

Mit Vorwürfen konfrontiert

Der Termin im Zuge der „Sachsengespräche“, des Dialogs mit den Bürgern, war lang vorher fixiert worden. Chemnitz war die elfte Station bei der Tour des 43-jährigen Regierungschefs – und die bisher weitaus brisanteste. Denn der CDU-Politiker, erst seit Dezember nach einer Schlappe der sächsischen Partei bei der Bundestagswahl und dem Rücktritt des Ministerpräsidenten Stanislaw Tillich im Amt, musste sich zuletzt viel Kritik von links wie von rechts gefallen lassen. Aufgebrachte Bürger wollten ihn mit einer Vielzahl an Vorwürfen konfrontieren – unter anderem gaben sie ihm die Mitverantwortung dafür, dass die Sache derart aus dem Ruder gelaufen ist.

Zunächst stellte sich Kretschmer taub. Danach nahm er die Polizei in Schutz – und die Bewohner von Chemnitz. Sie dürften nicht unter Generalverdacht gestellt werden, erklärte er im Fußballstadion an der Seite seines SPD-Stellvertreters Martin Dulig, der CDU-Minister für Inneres und Justiz sowie der Chemnitzer SPD-Oberbürgermeisterin. Zuvor bekannte ein nun suspendierter Dresdner Justizbeamter, den Haftbefehl gegen einen der beiden Täter aus Syrien und dem Irak veröffentlicht zu haben. Dies nährt den Verdacht, dass der Polizei- und Justizapparat von AfD-Leuten durchsetzt ist.

Kretschmer rief zum Vertrauen in die staatliche Ordnung auf,  warnte vor Fremdenfeindlichkeit und richtete sich gegen den rechten Mob: „Es ist widerlich, wie Rechtsextreme Stimmung machen und zur Gewalt aufrufen.“ Dies war eine Attacke gegen die AfD, die sich anschickt, bei Landtagswahlen 2019 der bis dato so dominanten CDU Konkurrenz zu machen. In Umfragen hält die AfD bei 25 Prozent.

Während des Besuchs Kretschmers demonstrierten in der Stadt nach Behördenangaben etwa 1000 Menschen, die dem Aufruf von Pro Chemnitz gefolgt waren. Sie versammelten sich vor dem Stadion, zogen aber wieder ab, ohne dass es Auseinandersetzungen gegeben hatte. Für Samstag organisieren die Rechtspopulisten von AfD und Pegida einen Schweigemarsch für Daniel H. Und am Montagabend haben sich unter anderem die Toten Hosen zu einem „Konzert gegen rechts“ vor dem Karl-Marx-Monument angesagt.

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("Die Presse", Print-Ausgabe, 31.08.2018)

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