Burma: UN-Gericht nimmt Generäle ins Visier

Die Verletzungen verheilen nicht. Begum, die der Rohingya-Volksgruppe angehört, wurde von Soldaten vergewaltigt.
Die Verletzungen verheilen nicht. Begum, die der Rohingya-Volksgruppe angehört, wurde von Soldaten vergewaltigt.(c) REUTERS (MOHAMMAD PONIR HOSSAIN)
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Ein neuer UN-Bericht dokumentiert die Verbrechen der Militärs gegen die muslimischen Rohingya. Der Internationale Strafgerichtshof in Den Haag will nun wegen Genozids ermitteln.

New York/Wien/Rangun. Meist kommen die Soldaten knapp vor Sonnenaufgang. In den frühen Morgenstunden ist der „Terroreffekt“ besonders hoch, lehrt die lange Erfahrung der Generäle. Der „Weckruf“ der Militärs fällt ganz besonders brutal aus, wenn ihre Opfer aus dem Schlaf gerissen werden. Schnell dringen sie dann in die Häuser ein, schießen wahllos um sich. Auf erschrockene Kinder, auf ihre Eltern und Großeltern. Oder sie setzen die Häuser gleich in Brand. Wer flieht, wird erschossen oder ins Flammenmeer geworfen.

Diese „Strategie“ wendet das burmesische Militär seit Jahren gegen Minderheiten im südostasiatischen Land an – und seit August 2017 vor allem gegen die muslimischen Rohingya im Bundesstaat Rakhine. In einem 444 Seiten umfassenden Bericht der UN-Menschenrechtskommission zur Lage in Burma (Myanmar) werden nun die Verbrechen der Generäle minuziös aufgelistet. „Das Maß an Brutalität ist kaum zu fassen, es ist eine vollkommene Missachtung für das Leben von Zivilisten“, beschreibt UN-Chefermittler Marzuki Darusman.

Babys im Fluss ertränkt

Der Bericht dokumentiert, wie Soldaten Babys aus dem Arm ihrer verzweifelten Mütter reißen; wie die Kleinen vor den Augen der Eltern in Flüssen ertränkt werden. Wie kleine Mädchen und Frauen nackt an Bäumen gefesselt und von mehreren Soldaten vergewaltigt werden. Wie Militärs auf schreiende, fliehende Kinder schießen, einfach so, zum Spaß.
Der Militäreinsatz in Rakhine begann im Sommer 2017, die Reaktion auf einen Anschlag einer radikalen Rohingya-Gruppe auf Polizisten. Allein in den ersten Monaten nach dem Einsatz wurden zehntausend Menschen ermordet. Mehr als 700.000 Rohingya sind seitdem geflohen, vorwiegend ins benachbarte Bangladesch.

Ein „Lehrbuchbeispiel für ethnische Säuberung“ nennt die UNO das Vorgehen gegen die Rohingya, die seit jeher Opfer von Verfolgung und Diskriminierung sind. Im strengbuddhistischen Burma sind die meisten Rohingya staaten- und somit rechtslos. Sie gelten als „illegale Ausländer“, obwohl sie seit mehreren Generationen in Burma leben, angesiedelt wurden sie von den früheren britischen Kolonialherren. Mord, Massenvergewaltigungen und Folter sind laut UNO Teil einer „Kriegsstrategie“, um das Land „muslimfrei“ zu machen.

Der UN-Bericht rief den Internationalen Strafgerichtshof auf den Plan. UN-Chefanklägerin Fatou Besouda kündigte eine „vollständige Voruntersuchung“ an – den ersten Schritt, der zu offiziellen Ermittlungen und einer Anklage führen könnte. Die UN-Menschenrechtskommission fordert ein internationales Strafverfahren gegen Armeechef Min Aung Hlaing und fünf ranghohe Militärs wegen Genozids. Burmas Regierung zeigt sich unbeeindruckt: Man werde das Urteil ohnehin nicht anerkennen, eine Untersuchung wird abgelehnt.

Die gefallene Heldin

Der UN-Bericht und die Haager Vorermittlungen sind eine weitere herbe Enttäuschung für all jene, die große Hoffnungen in die Demokratisierung der Ex-Militärdiktatur setzten. Als 2015 bei den ersten freien Wahl seit Jahrzehnten die Partei von Friedensnobelpreisträgerin Aung San Suu Kyi haushoch gewann, war die Euphorie groß.

Viele sahen darüber hinweg, dass die mächtigen Generäle weiter am Machthebel saßen. Es war die Armee, die 2010 den Öffnungsprozess nach jahrzehntelanger internationaler Ächtung eingeleitet hatte, vorwiegend um Investoren ins bitterarme Land zu locken und Sanktionen loszuwerden.

Bevor die Generäle Wahlen zuließen, sicherten sie sich die sicherheitspolitischen Posten, beim Vorgehen gegen Minderheiten haben sie freie Hand. Zudem können sie im Parlament ein Veto einlegen. Diese fragile Machtaufteilung in der blutjungen Demokratie heben auch Verteidiger von Aung San Suu Kyi hervor, wenn die „Lady“ wieder einmal wegen der Rohingya-Massaker kritisiert wird. Denn die „Staatsrätin“ – und de facto Regierungschefin – hat die Brutalität gegen die Rohingya nie deutlich verurteilt.

Die ehemalige Bürgerrechtlerin, die während der Militärdiktatur zu 15 Jahren Hausarrest verurteilt wurde, bleibt also ein Enigma. Für viele im Westen ist die „Lady“ inzwischen eine gefallene Heldin. Zumal die einstige Aktivistin sich einiges vom Regierungsstil ihrer früheren Feinde abgeschaut zu haben scheint. Vergangene Woche verteidigte sie die Verurteilung zweier Reuters-Journalisten zu sieben Jahren Haft. Die beiden Reporter hatten einen Artikel über die Ermordung von zehn Männern und Jungen geschrieben, die der Rohingya-Volksgruppe angehörten. Den Reportern wurde „Verrat von Staatsgeheimnissen“ vorgeworfen.

Und gestern wurde ein weiterer Journalist zu sieben Jahren Gefängnis verurteilt, diesmal ein populärer Kolumnist. Der Grund: Er habe die „Staatsrätin“ beleidigt, das sei Volksverhetzung.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 20.09.2018)

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