Friedensnobelpreis: Ehrung für die Kämpfer gegen sexuelle Gewalt

Die Menschenrechtsaktivistin Nadia Murad.
Die Menschenrechtsaktivistin Nadia Murad. (c) REUTERS (Marko Djurica)
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Was der Krieg für die Frauen bedeutet, zeigen der Arzt Denis Mukwege und die Aktivistin Nadia Murad auf. Sie erhalten den Friedenspreis.

Oslo/Wien. Das Komitee konnte Denis Mukwege und Nadia Murad trotz wiederholter Versuche nicht erreichen. Es blieb Berit Reiss-Andersen am Freitagvormittag vorerst nichts anderes übrig, als ihre Gratulationen aus den hölzernen Räumen des ehrwürdigen Nobel-Instituts auszurichten. Den Medien hatte die Sprecherin der Jury zuvor mitgeteilt, dass der Friedensnobelpreis in diesem Jahr gleich an zwei Personen gehe – von denen Murad mit ihren 25 Jahren die zweitjüngste Preisträgerin (nach Malala Yousafzai) überhaupt ist.

Mukwege und Murad, sie stehen beide für einen gleichsam qualvollen wie horrenden Kampf, der unzählige Frauen und Mädchen weltweit betrifft: gegen sexuelle Gewalt als Waffe und Strategie im Krieg. Die Preisträger, urteilte die Jury, haben unermüdlich das öffentliche Bewusstsein dafür geschärft. So habe sich die irakische Jesidin Murad über jene sozialen Kodizes hinweggesetzt, die von den betroffenen Frauen Scham und Stillschweigen verlangen. Seit Jahren tritt die junge Frau öffentlich auf, um von ihrem Martyrium zu erzählen.

Der kongolesische Gynäkologe Denis Mukwege.
Der kongolesische Gynäkologe Denis Mukwege.(c) APA/AFP/SAFIN HAMED (SAFIN HAMED)

Als die Schergen des sogenannten Islamischen Staats 2014 in die nordirakischen Sinjar-Gebirge einfielen, nahmen sie Tausende Frauen der jesidischen Minderheit entweder als Sklavinnen fest – oder sie massakrierten sie. Murad ist eine Überlebende. Die Zeit der Gefangenschaft schildert sie in ihrem Buch „Ich bin eure Stimme“: „Irgendwann gibt es nur noch die Vergewaltigungen und sonst nichts mehr. Es wird einfach zum normalen Tagesablauf. Man weiß nie, wer im nächsten Moment die Tür aufmacht und über einen herfällt, man weiß nur, dass es geschehen wird.“ Ihr gelang schließlich die Flucht, seither ist Murad eine laute und unüberhörbare Stimme. Die UNO hat sie zur Sonderbotschafterin gegen Menschenhandel ernannt. Während der Anti-Terrorkonferenz der Organisation für Sicherheit und Zusammenarbeit in Europa (OSZE) vergangenes Jahr in Wien hat der österreichische Vorsitz dem Vernehmen nach kurz in Betracht gezogen, Murad zur Sonderbeauftragten für den Kampf gegen Radikalisierung einzusetzen. Die Position erhielt allerdings der Politologe Peter Neumann.

Ankläger der Weltgemeinschaft

Unermüdlich ist auch Mukwege. Der 63-jährige kongolesische Gynäkologe hat im Lauf seines Berufslebens Zehntausende misshandelte Frauen behandelt, operiert und seelisch unterstützt – und gleichzeitig jene Gewalttaten dokumentiert, die so viele verschiedene Auseinandersetzungen im Kongo mit sich gebracht haben.

Dass sexueller Missbrauch als Waffe eingesetzt wird, hat Mukwege früh erkannt. Als er nach seinem Studium in Frankreich zurück in den Kongo kam, war seine erste Patientin die Überlebende einer Vergewaltigung. Danach hatten ihre Peiniger ihren Unterbauch und Genitalien angeschossen. Mit genau dieser Geschichte kamen noch viele Patientinnen in Mukweges vorerst kleines Panzi-Spital in der ehemaligen Kolonialstadt Bukavu. „Die Frauen, die wir behandeln, sind nur die Spitze des Eisbergs“, sagte der Arzt, „viele wagen es nicht auszusprechen, was ihnen angetan wurde.“ Das Grauen stets vor Augen habend, war Mukwege ein öffentlicher Ankläger der Weltgemeinschaft, die derartige Taten zuließ. Er griff die Regierungen im Kongo und in Ruanda scharf an, einen Mordanschlag überlebte er. Sein – und Murads – Name fielen im Zusammenhang mit dem Friedensnobelpreis schon öfter. Ob sich die aktuelle #MeToo-Debatte auf die Entscheidung der Jury ausgewirkt habe? „Kriegsverbrechen und #MeToo sind zwei verschiedene Dinge“, sagte Reiss-Andersen dazu, das solle die Wichtigkeit von #MeToo jedoch nicht schmälern. Die ersten Kommentatoren zeigten sich jedenfalls zufrieden über die Wahl der Jury, Kongo und der Irak gratulierten ihren Staatsbürgern. (duö)

("Die Presse", Print-Ausgabe, 06.10.2018)

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