Türkei/Saudiarabien: Ließ Prinz Reporter in Istanbul töten?

Demonstranten vor dem saudischen Konsulat in Istanbul: Dort verschwand der kritische Journalist Khashoggi spurlos.
Demonstranten vor dem saudischen Konsulat in Istanbul: Dort verschwand der kritische Journalist Khashoggi spurlos. (c) REUTERS (Osman Orsal)
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Ankara geht davon aus, dass Riad den Regimekritiker Jamal Khashoggi im Konsulat in Istanbul ermorden ließ. Laut Medien wurde seine Leiche zerstückelt.

Istanbul. Ein saudisches Killerkommando soll einen prominenten saudischen Regierungskritiker in Istanbul ermordet haben. Knapp eine Woche nach dem Verschwinden des Journalisten Jamal Khashoggi in Istanbul will die türkische Polizei sichere Hinweise darauf haben, dass Khashoggi im saudischen Konsulat getötet wurde.

Riad weist die Vorwürfe zurück – doch wenn sich der Verdacht erhärtet, droht eine schwere Krise zwischen Ankara und Riad. Saudiarabien stünde auch international als Schurkenstaat da, der Kritiker von Kronprinz Mohammed bin Salman auch im Ausland verfolgt.

Reporter wollte heiraten

Türkische Ermittler sind sicher, dass der 59-jährige Khashoggi das saudische Konsulat in Istanbul nicht mehr lebend verlassen hat. Khashoggi habe das Konsulat am Dienstag um 13.12 Uhr Ortszeit betreten und sei danach nicht wieder gesehen worden, zitierte die amtliche Nachrichtenagentur Anadolu türkische Polizeikreise. Der Journalist, der unter anderem in der „Washington Post“ die Politik von Kronprinz Mohammed kritisiert hat, wollte sich im Konsulat Papiere besorgen, um seine türkische Partnerin Hatice Cengiz heiraten zu können. Cengiz wartete vor den Toren des Konsulats vergeblich auf die Rückkehr ihres Verlobten.

Während Khashoggi im Konsulat war, traf laut Anadolu ein 15-köpfiges Team aus Saudiarabien in zwei Flugzeugen in Istanbul ein und besuchte die Vertretung. Kurz darauf hätten die Saudis die Türkei wieder verlassen. Die türkische Zeitung „Sabah“ berichtete, Khashoggi sei im Konsulat ermordet und seine Leiche dann aus dem Gebäude geschafft worden. Laut anderen Berichten könnte die Leiche zerteilt und auf mehrere Koffer verteilt worden sein, die als diplomatisches Gepäck außer Landes geschafft wurde. Dass türkische Behörden diese Meldungen unwidersprochen durchsickern ließen, zeigt, dass Ankara von Mord ausgeht. Die türkisch-saudischen Beziehungen sind angespannt, unter anderem wegen der türkischen Unterstützung für die Muslimbruderschaft, die Riad als Terrorgruppe verfolgt. Auch steht Ankara im Streit zwischen Katar und Saudiarabien auf katarischer Seite.

Präsident Recep Tayyip Erdogan bestätigte die Mordvorwürfe seiner Polizei zunächst nicht. Die Behörden werteten die Bilder von Überwachungskameras von der Gegend um das Konsulat und vom Istanbuler Flughafen aus, sagte er. Er hoffe immer noch, dass „keine unerwünschte Lage“ entstehe. Ein Berater Erdogans sagte aber, Khashoggi sei ermordet worden.

Um den Vorwürfen zu begegnen, ließ das saudische Konsulat Reporter der Nachrichtenagentur Reuters ins Gebäude. Damit wollte die Vertretung beweisen, dass sich Khashoggi nicht mehr dort aufhält. Kronprinz Mohammed sagte, er werde auch der türkischen Polizei die Durchsuchung der Vertretung erlauben. Der saudischen Darstellung zufolge verschwand Khashoggi nach dem Besuch im Konsulat.

Khashoggis Kritik an der Politik war für Riad besonders ärgerlich, weil der Journalist bis zu seiner Flucht in die USA vergangenen Jahr zum saudischen Establishment gehörte. Er arbeitete als Berater des früheren Geheimdienstchefs Prinz Turki al-Faisal. In der „Washington Post“ wandte sich Khashoggi gegen den von Kronprinz Mohammed vorangetriebenen Krieg in Jemen und warb für Dialog mit der Muslimbruderschaft. Die US-Zeitung verbreitete Khashoggis Beiträge im Internet auch auf Arabisch und machte sie damit einem großen saudischen Publikum zugänglich.

Der 33-jährige Kronprinz will aus der konservativen saudischen Monarchie mithilfe eines Umbauprogramms einen modernen Staat machen und aus der Abhängigkeit von Ölexporten befreien. Eine interne Öffnung ist damit aber nicht verbunden: Mit Inhaftierung von Kritikern hat der Prinz demonstriert, dass er keinen Widerstand hinnehmen will. Vor Kurzem legte sich Riad zudem mit Kanada an, weil Ottawa das Vorgehen gegen saudische Menschenrechtler kritisiert hat. Er betrachte sich selbst nicht als Reformer, sagte er im Interview mit Bloomberg News.

Mitglieder der arabischen Exil-Opposition sehen die Berichte über Khashoggi als Zeichen dafür, dass autokratische Regierungen in Nahost keine Rücksicht auf rechtliche Mindeststandards mehr nehmen wollen. „Die Tyrannen der Region wollen uns Kritiker allesamt zum Schweigen bringen“, so der ägyptisch-amerikanische Politologe Timothy Kaldas auf Twitter.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 08.10.2018)

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