Spaniens geraubte Kinder: Arzt entgeht Haftstrafe

Tausende Babys wurden unter der Franco-Diktatur ihren Müttern weggenommen und mit gefälschten Geburtsurkunden regimetreuen Familien übergeben (Symbolbild).
Tausende Babys wurden unter der Franco-Diktatur ihren Müttern weggenommen und mit gefälschten Geburtsurkunden regimetreuen Familien übergeben (Symbolbild).(c) APA/AFP/JAIME REINA
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Im ersten Prozess zum Diebstahl von Babys während der Franco-Diktatur in Spanien musste sich ein ehemaliger Arzt vor einem Gericht in Madrid verantworten. Er habe die Taten begangen, diese seien aber verjährt.

Madrid. Es geht um ein dunkles Kapitel der 1975 in Spanien untergegangenen Franco-Diktatur. Tausende Babys wurden damals ihren Müttern weggenommen und mit gefälschten Geburtsurkunden regimetreuen Familien übergeben. Oft wurden die Babys sogar für viel Geld verkauft. Die Opfer dieses massenhaften Kinderhandels waren meist Oppositionelle oder mittellose Frauen, denen im Krankenhaus mitgeteilt wurde, dass ihr Baby bei der Geburt gestorben sei. Nun brachte erstmals ein Gerichtsurteil Licht in diese kriminelle Praxis, bei der Ärzte, Nonnen und Geistliche mitmachten.

Das Madrider Landgericht sah es als erwiesen an, dass die heute 49-jährige Spanierin Inés Madrigal im Jahr 1969 im Krankenhaus nach der Geburt ihrer Mutter entwendet und einer anderen Familie übergeben wurde. Trotzdem verzichtete das Gericht auf eine Verurteilung des Frauenarztes, der für diesen Babyraub in einem Madrider Spital verantwortlich gewesen sein soll.

Die Tatbeteiligung des inzwischen 85 Jahre alten Mediziners namens Eduardo V. stehe zwar fest, meinte das Gericht, die Ereignisse seien jedoch verjährt. Der Staatsanwalt hatte dies anders gesehen und elf Jahre Haft gefordert. Eduardo V. hatte derweil vor Gericht die Vorwürfe bestritten.

Womöglich 30.000 Opfer

Inés Madrigal, die im Alter von 18 Jahren herausgefunden hatte, dass sie nicht bei ihrer leiblichen Mutter aufgewachsen war, sieht das Urteil trotzdem als „großen Schritt“ bei der Aufarbeitung dieser Untaten an: „Es ist das erste Urteil zum Fall der geraubten Babys“, sagte die Frau, die sich als Vorreiterin für Tausende weitere Opfer sieht. „Es wird nun klar festgestellt, dass ich meiner Mutter entrissen worden bin.“ Sie teile aber nicht die Auffassung der Richter, dass die Tat verjährt sei. Deswegen werde sie vor Spaniens Oberstem Gerichtshof Berufung einlegen. Es gehe ihr nicht darum, den Arzt Eduardo V. hinter Gitter zu bringen, sagte Madrigal. Sie wolle vielmehr, dass die Aufklärung ihres Falles helfe, anderen Opfern Gerechtigkeit zu verschaffen.

Ermittlungen zufolge sollen während der Franco-Zeit rund 30.000 Babys ihren Müttern weggenommen worden sein. Auch in den ersten Jahren der spanischen Demokratie, die 1975 mit dem Tod des Diktators Francisco Franco in Spanien einzog, sollen diese kriminellen Machenschaften zunächst noch weitergegangen sein. Ärzte, Hebammen, katholische Nonnen und Priester, Notare und Ämter waren in die Fälle von Menschenraub verwickelt.

Inzwischen haben sich in ganz Spanien mutmaßliche Opfer zusammengeschlossen, um gemeinsam nach der Wahrheit zu suchen. Rund 2000 Anzeigen liegen der Justiz vor. Meist handelt es sich um Menschen, die durch eigene Nachforschungen herausgefunden haben, dass auch sie nach der Geburt einer fremden Familie übergeben worden waren. Bei der Aufklärung geht es den meisten Betroffenen nicht um Rache, erläutert Madrigal, sondern darum, zu wissen, wer ihre wahren Eltern sind.

Schwere Aufarbeitung

Doch das dürfte, Jahrzehnte später, in den meisten Fällen kaum noch herauszufinden sein. Ein Polizist, der den im Fall von Inés Madrigal beschuldigten Frauenarzt vor dem Prozess verhörte, sagte vor Gericht aus: „Der Arzt sagte mir, dass er damals die Geburtsregister des Krankenhauses verbrannt hat.“

Hintergrund

Rund 30.000 Babys wurden in Spanien während der Diktatur Francisco Francos (1936–1975) nach der Geburt ihren Müttern weggenommen und an regimetreue Familien zur Adoption übergeben. Spitäler, Ämter und die katholische Kirche waren an diesem Babyraub beteiligt. Auch in den ersten Jahren der spanischen Demokratie sind diese kriminellen Machenschaften zunächst weitergegangen.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 09.10.2018)

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