Wechselt Saudiarabien seine Strategie? Drei Fragen zum Fall Khashoggi

Die türkischen Ermittler durchsuchten das saudiarabische Konsulat in Istanbul zwei Wochen nach dem Verschwinden des Journalisten Jamal Khashoggi.
Die türkischen Ermittler durchsuchten das saudiarabische Konsulat in Istanbul zwei Wochen nach dem Verschwinden des Journalisten Jamal Khashoggi.APA/AFP/BULENT KILIC
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Nach langem Zögern erhöhen die USA den Druck auf Saudiarabien, was den mächtigen Kronprinzen unter Zugzwang bringt. Die Türkei durchsuchte neun Stunden lang das Konsulat in Istanbul, wo Journalist Khashoggi zuletzt gesehen wurde.

Ein Mann betritt das saudiarabische Konsulat in der türkischen Metropole Istanbul und kommt nie wieder heraus - der Beginn eines komplizierten diplomatischen Tauziehens. Denn jener Mann, der verschwand, ist der bekannte saudische Journalist und Regierungskritiker Jamal Khashoggi. Die Türkei ermittelt, die USA sind besorgt und Saudiarabien versucht, sich irgendwie aus der Sackgasse zu manövrieren - möglicherweise will Riad den Tod Khashoggis nun sogar eingestehen, irgendwie. Drei Fragen zum Fall Khashoggi.

Wer ist Jamal Khashoggi?

Zu Beginn seiner Karriere war der 1958 in Medina geborene Journalist islamistischen Ideen zugeneigt und interviewte wiederholt den späteren al-Qaida-Führer Osama bin Laden in Afghanistan und im Sudan. Später wandte er sich liberaleren Ideen zu und kritisierte die strikte Lesart des Islam durch die Salafisten, was ihn in Konflikt mit dem religiösen Establishment in Saudiarabien brachte. Khashoggis Verhältnis zum Königshaus war ambivalent. Zeitweilig diente er als Berater des mächtigen Prinzen Turki al-Faisal, der lange Botschafter in Washington war und die Geheimdienste leitete.

Da sich unter Kronprinz bin Salman die Repression gegen Andersdenkende in Saudiarabien weiter verschärfte und Khashoggi seine Arbeit bei der Zeitung "Al-Hayat" verlor, nachdem er die von Riad als "Terrororganisation" eingestufte islamistische Bewegung der Muslimbrüder verteidigt hatte, ging er im September 2017 aus Angst vor einer Festnahme in die USA, wo er für die "Washington Post" schrieb.

Khashoggi hatte wiederholt die Politik des mächtigen Kronprinzen bin Salman sowie die Militärintervention des saudiarabischen Königreichs im Jemen kritisiert. Bin Salman hat zwar weitreichende wirtschaftliche und gesellschaftliche Reformen eingeleitet, doch geht er mit harter Hand gegen Kritiker und Oppositionelle vor.

Was ist im Konsulat in Istanbul passiert?

Fakten

Diese Frage kann nach der derzeitigen Informationslage nicht beantwortet werden. Die Faktenlage ist dünn, die Gerüchteküche brodelt umso intensiver. Einziger Fixpunkt: Khashoggi betrat am 2. Oktober das saudiarabische Konsulat in Istanbul. Khashoggi benötigte Papiere, um seine türkische Verlobte heiraten zu können. Nach Angaben seiner Verlobten, die draußen wartete, kam er nicht wieder heraus. Die Türkei veröffentlichte Bilder des Journalisten, wie er das Konsulat betritt. 

Saudiarabien hatte am Dienstag einer Durchsuchung des Konsulats durch die türkische Polizei zugestimmt, die fast neun Stunden dauerte. Die Polizei werde außerdem die Residenz des saudiarabischen Konsuls in Istanbul durchsuchen, meldete der türkische Sender NTV am Dienstag. Auch das Konsulat solle im Laufe des Tages erneut durchsucht werden. Die türkischen Behörden prüfen offenbar, ob Gift eingesetzt wurde. Die Ermittler gingen "vielen Dingen nach, wie etwa toxischen Materialen und solchen Materialen, die entfernt wurden, indem sie übermalt wurden", sagte Präsident Recep Tayyip Erdogan am Dienstag vor Journalisten.

Türkische Ermittler gehen davon aus, dass Khashoggi bei seinem Besuch im Konsulat am 2. Oktober von saudiarabischen Agenten ermordet wurde. Saudiarabien bestreitet dies, ist aber den Beweis dafür schuldig geblieben, dass der Regierungskritiker das Gebäude lebend verließ. Laut dem Konsulat waren die Überwachungskameras im Gebäude am Tag von Khashoggis Besuch ausgefallen.

Medienberichte

Einem Bericht der "Washington Post" zufolge verfügt die Türkei über Audio- und Videoaufnahmen, die belegen, dass Khashoggi gefoltert und ermordet wurde. Seine Leiche sei zerstückelt und in Koffern aus der diplomatischen Vertretung geschafft worden. Nach Informationen der Zeitung scheut die türkische Seite eine Veröffentlichung der Aufnahmen, um nicht zu offenbaren, wie Einrichtungen ausländischer Staaten in der Türkei ausspioniert werden. Die türkischen Zeitungen "Milliyet" und "Sözcü" berichteten, Khashoggis Smartwatch habe eine Auseinandersetzung im Konsulat aufgezeichnet, die an sein Telefon gesendet worden sei, das er draußen bei seiner Verlobten Hatice Cengiz gelassen hatte.

So veröffentlichte die Zeitung "Sabah" unter anderem Aufnahmen von 15 Saudis, die offenbar bei der Passkontrolle am Flughafen aufgenommen worden waren. "Hier ist das 15-köpfige Attentatsteam", titelte das Blatt. Der arabische Sender al-Arabiya meldete hingegen, bei den abgedruckten Bildern handle es sich um Aufnahmen von ganz normalen saudischen Besuchern auf der Heimreise. "Die türkische und katarische Presse nutzt Bilder von Touristen", schrieb der Sender dazu.

Wie kann Saudiarabien aus der diplomatischen Sackgasse kommen?

Beziehungen USA-Saudiarabien

Der internationale Druck auf Saudiarabien steigt, entscheidend für Saudiarabien ist jedoch das Verhalten der USA. In seiner Kritik an westlichen Verbündeten kennt US-Präsident Donald Trump oft kein Halten. Auf das Verschwinden Khashoggis reagierte er zuerst zurückhaltend. Das hat seine Gründe.

Die USA und Saudiarabien, das ist seit Trump wieder eine enge, geradezu herzliche Beziehung. Da ist nicht nur das Öl, das beide Länder verbindet. Der US-Präsident sieht im Königshaus auch einen Abnehmer von US-Waffen und verkündete in Riad Geschäfte im Wert von 110 Milliarden Dollar. Saudiarabien - mit einer teuren, aber vergleichsweise schwachen Armee ausgestattet - wiederum findet in Washington einen Garanten seiner Sicherheit. Die US-Armee unterstützt auch logistisch und geheimdienstlich die Angriffe, die die von Riad geführte internationale Koalition in Jemens Bürgerkrieg fliegt - ungeachtet der Tatsache, dass dabei regelmäßig Zivilisten sterben. Vor allem aber halten Washington wie Riad den schiitischen Iran für den Erzfeind schlechthin.

Erst zehn Tage nach dem Verschwinden Khashoggis wurde Trump deutlicher und drohte mit "ernsten Konsequenzen", sollte der Journalist tatsächlich im Konsulat ermordet worden sein. Die staatliche saudische Nachrichtenagentur Spa berichtete am Sonntag unter Berufung auf nicht näher genannte offizielle Quellen, dass jede Handlung gegen Saudiarabien "mit einer größeren Handlung" beantwortet werde. Doch die deutlichen Worte Trumps könnten zu einem Strategiewechsel Saudiarabiens führen.

Strategiewechel?

Denn das Königreich befindet sich in einer Sackgasse. Entlastende Beweise kann das Königreich nicht vorlegen. Also - so berichten US-Medien - könnte man ein missglücktes Verhör eingestehen, eine ungeplante Tötung Khashoggis. Ein Irrtum also, den der Bündnispartner USA verzeihen möge.

Am Dienstag traf US-Außenminister Mike Pompeo in Riad ein. Er sprach sowohl mit dem saudischen König Salman als auch mit dem Kronprinzen  über den Fall. In einem Telefonat mit US-Präsident Trump habe König Salman zugesichert, er habe keine Kenntnis darüber, was passiert sein könnte. Ob das der Wahrheit entspricht, ist schwer einzuschätzen. Tatsache ist jedoch, dass in Saudiarabien seit vergangenem Jahr Kronprinz Mohammed bin Salman die Fäden zieht. Er fährt einen harten Kurs gegen seine Kritiker. Der Tod von Khashoggi gilt als schwerer Fehler, den seine Kritiker innerhalb des engen Machtzirkels auszunutzen versuchen.

Auch immer mehr Unternehmen distanzieren sich: Zahlreiche Firmenschefs sagten wegen des Falls Khashoggi ihre Teilnahme an einer Wirtschaftskonferenz in Saudiarabien ab. Deutschland, Frankreich und Großbritannien forderten am Sonntag in einer gemeinsamen Erklärung die saudiarabische Regierung zur vollständigen Aufklärung des Falls auf.

(klepa/Ag.)

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