Daran scheitert der Brexit (noch)

Die britische Premierministerin May, hier beim Besuch einer sozialen Einrichtung im Süden von London, will bis zum letzten Moment mit Brüssel feilschen.
Die britische Premierministerin May, hier beim Besuch einer sozialen Einrichtung im Süden von London, will bis zum letzten Moment mit Brüssel feilschen. (c) APA/AFP/POOL/STEFAN ROUSSEAU
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Die britische Premierministerin ringt am Mittwoch mit der EU-Führung um eine Brexit-Einigung. Dazu dürfte es nicht kommen. Noch nicht.

London. Nur mehr 163 Tage bis zum Brexit werden es am Mittwoch sein, wenn Premierministerin Theresa May mit den EU-Staats- und Regierungschefs in Brüssel zusammenkommt. Statt der angepeilten Unterzeichnung einer Übereinkunft stehen erneut Krisengespräche auf dem Programm. Nicht nur EU-Ratspräsident Donald Tusk fürchtet: „Ein No-Deal-Szenario ist so wahrscheinlich wie nie zuvor.“ Die Dramaturgie der finalen Verhandlungen hat also begonnen. Zuspitzungen gehören da ebenso dazu wie taktische Manöver auf beiden Seiten.

Stille Fortschritte

Entgegen allem Augenschein machen die Verhandler hinter den Kulissen große Fortschritte. Auch wenn die britische Position von der EU als „Rosinenklauben“ abgelehnt wird, hat man in Brüssel (an)erkannt, dass May einen möglichst weichen Brexit will. Den muss sie aber ihrer konservativen Partei verkaufen. Geeinigt hat man sich bereits auf schwere Brocken wie den Status von Bürgern nach dem Brexit (unverändert), die britische Scheidungszahlung (44 Mrd. Euro fürs Erste) und eine Übergangsfrist für den Vollzug des Austritts (bis Ende 2020).

Große Hürde Nordirland

Alle sind sich einig, dass es in Irland keine Rückkehr zu einer befestigten Grenze mit der britischen Provinz Nordirland geben darf, sollte kein Handelsabkommen EU–UK zustande kommen. Brüssel will in diesem Fall, dass nur Nordirland in der EU-Zollunion verbleibt. May hat dazu zwar eine „regulatorische Übereinkunft“ unterzeichnet, will diese aber für das gesamte Vereinigte Königreich verstanden wissen. Sie strebt eine Zollunion für Waren an. Für Brexit-Hardliner ist das undenkbar, während Gemäßigte eine Befristung fordern. Das aber lehnt wiederum Brüssel ab. Die Positionen sind also festgefahren.

Gefahr: Austritt ohne Abkommen

Auch wenn die Verhandlungen in der „Sackgasse“ (May) stecken, will keine Seite einen Austritt ohne Folgeabkommen. May bekommt für ihre Position zum Verbleib in einer Zollunion derzeit kaum Unterstützung im Parlament, aber: „Auch für No Deal gibt es keine Mehrheit“, wie John Springford vom Thinktank CER sagt. Umgekehrt kann auch die EU-Wirtschaft, die allein 2017 mit den Briten einen Überschuss von 95 Mrd. Pfund (108 Mrd. €) im Güterverkehr verbuchte, an einem Kollaps kein Interesse haben.

Wer kann noch helfen?

Wie immer, wenn es kritisch wird, setzen die Briten auf bilaterale Kontakte. May sprach schon vor dem Gipfel mit Deutschlands Kanzlerin Angela Merkel und Frankreichs Präsident Emmanuel Macron. Weiterhin bleiben die Reihen der EU-27 aber beim Brexit geschlossen wie nie.

Wie geht es weiter?

Einer der größten Fehler Mays war es, die Brexit-Verhandlungen einzuläuten, ehe sich London auf seine Ziele und Strategie geeinigt hatte. Nun läuft die Zeit davon. Der Gipfel am Mittwoch und Donnerstag wird wohl nicht mehr als eine Vertagung auf das Treffen im November bringen. Selbst dann bleibt als wirklich letzte Chance der EU-Gipfel am 13. und 14. Dezember. Bis dahin dürfte die Wirtschaft auf beiden Seiten des Ärmelkanals noch nervöser werden. Das Herauszögern mag riskant sein, aber für May liegt darin ihre vielleicht beste Chance: Je länger sie mit Brüssel feilscht, umso glaubhafter kann sie behaupten, bis zum letzten Augenblick um das bestmögliche Abkommen gerungen zu haben. Und je später sie eine Einigung nach Hause bringt, umso weniger Zeit bleibt ihren Gegnern, es zu zerpflücken, ehe am 21. Jänner 2019 das Abkommen im Parlament abgestimmt wird.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 17.10.2018)

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