Von Merkel 2002 verdrängt: Jetzt will Merz ihr Nachfolger werden

Archivbild: Merkel und Merz 2001 im Bundestag
Archivbild: Merkel und Merz 2001 im Bundestag(c) REUTERS (Arnd Wiegmann)
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Ex-Unionsfraktionschef Friedrich Merz kündigt an, für den CDU-Vorsitz kandidieren zu wollen. Nach Merkels Rückzugs-Ankündigung steigt der Druck auf CSU-Chef Seehofer.

Richtige Überraschung ist es keine mehr, aber am Dienstag wurde es offiziell: Friedrich Merz will sich auf dem Parteitag der CDU um den Vorsitz bewerben, als Nachfolger von Angela Merkel - jene Frau, die ihn einst aus dem Amt gedrängt hatte. Merz verkündete seine Ambitionen in einer kurzen Presseaussendung.

"Angela Merkel verdient Respekt und Anerkennung für ihre Leistungen in 18 Jahren an der Spitze der Partei", schreibt Merz. Die CDU habe nun die Chance, "sich neu aufzustellen". Er habe sich "nach reiflicher Überlegung und nach zahlreichen Gesprächen" für eine Kandidatur entschieden. Die Union brauche Aufbruch und Erneuerung mit erfahrenen und mit jüngeren Führungspersönlichkeiten, so der bald 63-Jährige, der weniger als zwei Jahre jünger als Merkel ist. "Ich bin bereit, dafür Verantwortung zu übernehmen und gleichzeitig alles zu tun, um den inneren Zusammenhalt und die Zukunftsfähigkeit der CDU Deutschlands zu stärken", gibt sich Merz in der Mitteilung versöhnlich.

Sollte Merz tatsächlich Merkel an der CDU-Spitze beerben, wäre das durchaus bemerkenswert. Merkel - damals Parteivorsitzende - hatte Merz 2002 von der Spitze der CDU/CSU-Fraktion abgelöst. Das hat bei Merz tiefe Spuren hinterlassen. Merz, Finanzexperte und "Wertekonservativer", hatte damals eine Debatte über eine deutsche Leitkultur angeschoben. Legendär wurde auch seine Forderung aus dem Jahr 2003, wonach eine Einkommenssteuererklärung "auf einem Bierdeckel" Platz haben sollte. 

Merz wie auch anderen Vertretern des konservativen Parteiflügels dürfte die unterstellte "Sozialdemokratisierung" der CDU unter Merkel wenig gefallen haben. Merz zog sich nach der Niederlage gegen Merkel aus der Spitzenpolitik zurück.

Wie viele Kandidaten sich um Merkels Nachfolge an der Parteispitze bewerben, ist offen. Bisher haben CDU-Generalsekretärin Annegret Kramp-Karrenbauer und Gesundheitsminister Jens Spahn ihren Hut in den Ring geworfen. Nordrhein-Westfalens Ministerpräsident und CDU-Landeschef Armin Laschet hält sich die Entscheidung noch offen. Vor allem Spahn und Merz könnten in einem ähnlichen Wählerpool in der Union fischen, im konservativeren Flügel. Weshalb manche schon befürchten, das könnte zu einer Stimmenteilung und zu einem Sieg etwa von Kramp-Karrenbauer führen.

EU-Haushaltskommissar Günther Oettinger erwartet von der CDU, dass sie Merkel nach deren Rückzug vom Parteivorsitz auf europäischer Ebene den Rücken freihält. "Wir brauchen jetzt eine Kanzlerin, die den Rücken freihat, gerade für die großen europäischen Aufgaben", sagte der CDU-Politiker der "Neuen Osnabrücker Zeitung" vom Dienstag.

Merz im Juni 2018
Merz im Juni 2018imago/IPON

Druck auf Seehofer steigt

Der angekündigte Verzicht der deutschen Kanzlerin Merkel auf den CDU-Vorsitz erhöht auch den Druck auf CSU-Chef Horst Seehofer. Mehrere CDU-Politiker aus den Ländern fordern offen den Rückzug des Innenministers von der CSU-Spitze.

"Angela Merkel hat es geschafft, einen selbstbestimmten Abgang als Parteivorsitzende zu gehen, das wünsche ich auch dem Kollegen Horst Seehofer", sagte Saarlands Ministerpräsident Tobias Hans der "Welt".

Der hessische CDU-Landesgruppenchef im Bundestag, Michael Brand, machte vor allem Seehofer für das Wahldesaster der CDU/CSU in Hessen und Bayern verantwortlich. "Wer sein Ego über die Verantwortung stellt und mehr nach pathologischen als nach politischen Maßstäben agiert, darf sich nicht wundern, wenn Leute sich mit Wut und Entsetzen abwenden", sagte er der "Fuldaer Zeitung".

Seehofer selbst kündigte an, er wolle spätestens Mitte November Vorschläge zur inhaltlichen, strategischen und personellen Zukunft der CSU vorlegen. In der bayerischen Partei gibt es seit der Wahl am 14. Oktober auf praktisch allen politischen Ebenen Forderungen an Seehofer, den Vorsitz aufzugeben. Seine Amtszeit endet eigentlich Ende 2019.

Beim Koalitionspartner SPD wird vor allem Seehofers Agieren als Innenminister und CSU-Chef eine Hauptschuld für das schlechte Erscheinungsbild der Regierung gegeben - Parteichefin Andrea Nahles verlangt bis Dezember eine Klärung, "wie die Union ihre inhaltlichen und personellen Konflikte so lösen will, dass die Regierungsarbeit davon nicht weiter negativ berührt wird".

Merkel bleibt für EU Hauptansprechpartner

EU-Kommissionspräsident Jean-Claude Juncker sieht Merkel jedenfalls nach ihrem Rückzug als CDU-Vorsitzende als Hauptgesprächspartner. "Sie und Deutschland bleiben einflussreiche Akteure des europäischen Projekts und darüber hinaus", sagt eine Sprecherin der EU-Kommission. Für Juncker ändere sich also nichts. Er habe am Montagabend mit Merkel gesprochen. Die beiden arbeiteten seit Jahrzehnten eng zusammen.

Bei der SPD gibt es vorerst keine personellen Konsequenzen, Parteichefin Nahles ist erst sechs Monate im Amt. Doch nach den riesigen Verlusten in Bayern wie Hessen will Nahles das Profil schärfen. Generalsekretär Lars Klingbeil forderte nun zum Beispiel eine Maschinensteuer und eine bedingungslose Grundsicherung für Kinder. "Ich will, dass die riesigen Unternehmensgewinne, die durch Automatisierung und Roboterisierung entstehen werden, der Gesellschaft zu Gute kommen", schreibt er in einem Gastbeitrag für das Nachrichtenportal t-online.de. Das könne zum Beispiel durch eine Besteuerung von Wertschöpfung durch Maschinen geschehen.

Merkel hatte am Montag nach den schweren Verlusten ihrer Partei bei der Landtagswahl in Hessen angekündigt, beim CDU-Parteitag im Dezember nach 18 Jahren an der Spitze nicht mehr für den Parteivorsitz zu kandidieren. Kanzlerin will sie aber bis 2021 bleiben - sofern die Große Koalition bis dahin hält.

(APA/dpa/AFP/Reuters)

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