Scharia in Zivilrechtsfall angewendet: Griechenland verurteilt

Der Europäische Menschenrechtsgerichtshof in Straßburg
Der Europäische Menschenrechtsgerichtshof in StraßburgREUTERS
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In einem Teil Griechenlands ist als einzigem Land Europas unter engen Voraussetzungen die Anwendung des islamischen Zivilrechts möglich. In einem solchen Fall sah der Menschenrechtsgerichtshof in Straßburg nun eine Diskriminierung.

Der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte in Straßburg hat in einem hochbrisanten Fall ein Urteil gegen Griechenland gefällt: Das Land wurde verurteilt, weil die Justiz in einer inländischen Erbstreitigkeit die Scharia, das islamische Recht, statt des üblichen griechischen Zivilrechts angewandt hatte. Damit sei das Diskriminierungsverbot verletzt worden, urteilten die Straßburger Richter am Mittwoch.

Beschwert hatte sich eine griechische Witwe, die von ihrem Mann per Testament dessen gesamten Besitz vererbt bekommen, aber dann einen großen Teil eingebüßt hatte: Die Schwestern des Toten fochten das Testament an, weil der Mann einer muslimischen Minderheit angehört hatte - daher müsse auch die Scharia gelten. Griechische Gerichte gaben den Klägerinnen tatsächlich Recht, letztlich bekam die Witwe nur ein Viertel der Hinterlassenschaft.

Die Frau ging bis vor den EGMR in Straßburg und machte geltend, dass sie eigentlich alles geerbt hätte, wenn ihr Mann nicht Moslem gewesen wäre. Daher sei sie zivilrechtlich diskriminiert im Vergleich zu anderen solchen Erbfällen etwa unter christlichen Ehepartnern in Griechenland.

Spezielle muslimische Minderheit in Thrakien

Dazu muss man freilich wissen: Hellas ist tatsächlich das einzige EU-Land, wo die Scharia teilweise angewendet werden kann: Nämlich in der kleinen Region West-Thrakien in der Nordostecke des Landes an Griechenlands europäischer Festlandgrenze zur Türkei im Osten sowie zu Bulgarien im Norden. In West-Thrakien lebt als Folge der jahrhundertelangen osmanischen Herrschaft nämlich auch eine muslimische Minderheit, die der Balkantürken und Pomaken; seit 1923 gilt für sie bei Bedarf und eingeschränkt auch die Scharia.

Erst heuer im Jänner hatte jedoch das Parlament eine weitere Einschränkung der lokalen Scharia-Anwendung beschlossen: Muslimische Geistliche dürfen seither abseits des normalen Rechtsweges nur noch dann nach islamischem Recht entscheiden, wenn beide Streitparteien dem zuvor zustimmen. Andernfalls ist die normale Justiz zuständig.

Am Ende folgten die Straßburger Richter der Argumentation der Witwe: Griechenland habe eine unterschiedliche Behandlung von Menschen verschiedenen Glaubens in Erbrechtsfragen "nicht objektiv und vernünftig gerechtfertigt". Staaten, die solche Spezialregeln für einzelne Glaubensgemeinschaften eingeführt hätten, müssten sicherstellen, dass dadurch keine Diskriminierung entstehe. Insbesondere müssten Angehörige des betreffenden Personenkreises die Möglichkeit haben, sich für die Anwendung des staatlichen Rechts zu entscheiden.

Diese Forderung dürfte mit der genannten Gesetzesänderung erfüllt gewesen sein. Auf eine mögliche Entschädigungszahlung an die Witwe legte sich der EGMR vorerst nicht fest.

(DPA)

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