In Putins TV-Studio ist die Welt noch in Ordnung

Putins Jahrespressekonferenz
Putins Jahrespressekonferenz imago/ITAR-TASS
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Die Jahrespressekonferenz des Kremlchefs drehte sich um die schwierige soziale Lage – und die Schuldigen.

Moskau. Es wirkte, als wolle Wladimir Putin sich wappnen. Bevor er sich an die Beantwortung der dutzenden Fragen machte, gab der Kremlchef dem Publikum seiner Jahrespressekonferenz die aus seiner Sicht wichtigen und richtige Ziffern mit. Das Bruttoinlandsprodukt sei in den ersten zehn Monaten um 1,7 Prozent gewachsen. Für das Gesamtjahr werde ein Wachstum von 1,8 Prozent erwartet. Die Inflation werde mit 4,1 Prozent etwas höher ausfallen als prognostiziert. Gewachsen seien Industrieproduktion und Landwirtschaft, gestiegen die Investitionen und die Handelsbilanz.

Vor mehr als 1700 Journalisten bemühte er sich, einen „positiven Trend“ herauszustreichen. Doch es blieb ein Ringen um Prozentpunkte. Unter den Bürgern mehren sich Besorgnis und Zweifel. Zweifel, wie sie ein altgedienter Journalist der Komsomolskaja Prawda zum Ausdruck brachte. „Das Volk glaubt den Zahlen nicht“, sagte er. „Denn das Leben ist hart.“

Die Menschen verstünden die Statistik oft richtig, entgegnete Putin.
Doch die Stagnation der russischen Wirtschaft ist ein wachsendes Problem für den Kreml: Die Russen merken, wie viel (bzw. wie wenig) in ihrer Brieftasche übrig bleibt. Die Realeinkommen fallen seit fünf Jahren in Folge. Putin sprach von einem Wachstum um ein halbes Prozent in den vergangenen elf Monaten. Doch er irrt. Laut Statistikamt Rosstat sind die Reallöhne in dieser Periode um 0,1 Prozent gefallen. Immerhin, weniger als in den Jahren zuvor.

Beliebtheitswerte unverändert tief

Dass der Raum für Manöver enger wird, spürt auch der Herr des Kreml selbst. Seine Beliebtheitswerte liegen seit Monaten unverändert tief. Seit der Ankündigung der unpopulären Pensionsreform im Juni liegt sein Rating bei (für hierzulande niedrigen) 66 Prozent. Ähnlich war es im Protestwinter 2011/12. Zustimmungswerte von 85 Prozent wie während und nach der Krim-Annexion sind vorbei.

In einer aktuellen Umfrage des unabhängigen Instituts Lewada-Zentrum nennen 55 Prozent Wladimir Putin als Verantwortlichen für die Probleme Russlands. „Der Präsident hat die Macht in seinen Händen konzentriert. Die Menschen spüren das“, sagt der Soziologe Denis Wolkow. „Das ist schön, solange es dem Land gut geht. Wenn sich die Dinge verschlechtern, dann wendet sich das gegen den Präsidenten.“

"Politisierte Russophobie"

Wladimir Putin machte am Donnerstag einen etwas müden, ratlosen Eindruck. Die alten Methoden greifen nicht mehr so gut, neue gibt es nicht. Ja, er sprach vom notwendigen „Durchbruch“, davon, dass Russland in eine andere Liga der Ökonomie gelangen wolle, zur fünftstärksten Weltwirtschaft aufsteigen wolle. Das „Wie“ bleibt schwammig, wie schon die Jahre zuvor.

Konkreter waren indes Putins Schuldzuweisungen, wer Russland am Erfolg hindere. Sanktionspolitik gegen das Land habe eine lange Tradition seit dem 19. Jahrhundert, behauptete er, und sei nur dazu da, den Aufstieg zu verunmöglichen. Auch aktuelle Verwerfungen zwischen Ost und West – etwa die internationalen Strafmaßnahmen im Gefolge des Falls Sergej Skripal – bezeichnete er als „politisierte Russophobie“.

Am Rande der vierstündigen Veranstaltungen kamen Bürgerrechte in Russland zur Sprache. Da zeigte Putin eine harte Haltung. Im Fall des unlängst zu 25 Tagen Gefängnis verurteilten, 77-jährigen Menschenrechtsaktivisten Lew Ponomarjow, der im sozialen Netzwerk Facebook zu einer nicht angemeldeten Demonstration aufgerufen hatte, sagte Putin, er stelle die „Gerechtigkeit des Gerichtsurteils“ nicht in Frage. Auch bezüglich eines Gefangenenaustausches mit der Ukraine winkte er ab. Auf die ukrainischen Marinesoldaten, die nach dem Schiff-Zwischenfall in der Meerenge von Kertsch in Russland festgehalten werden, warte ein Strafprozess.

Ukraine als Negativfolie

Die Ukraine diente als Negativfolie, wie schon in den Jahren zuvor. Die neu gegründete orthodoxe Nationalkirche, die nicht länger dem Moskauer Patriarchat untersteht, nannte Putin abschätzig die „vereinigte Abspalterkirche des Istanbuler Patriarchen“. Sie ziele auf das Zerwürfnis der „russischen und ukrainischen Völker“.

Eine unangenehme Frage gab es für den Kremlchef bezüglich seines Bekannten Jewgenij Prigoschin, der als „Putins Koch“ bezeichnete Unternehmer, der an der Spitze der Söldnerfirma Wagner stehen soll. Putins Antwort: „Meine Köche sind allesamt Mitglieder des Sicherheitsdienstes. Ich habe keine anderen Köche. Damit das klar ist.“

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