Das Mittelmeer, die "tödlichste Grenze der Welt"

Diese Migranten hatten Glück: eines der wenigen Rettungsschiffe griff sie auf und brachte sie nach Malaga in Spanien.
Diese Migranten hatten Glück: eines der wenigen Rettungsschiffe griff sie auf und brachte sie nach Malaga in Spanien.REUTERS
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Die italienische Regierung hat ein Ziel: Die Ankünfte im Land zu reduzieren. Libyen spielt dabei eine Schlüsselrolle. Doch das Land versinkt im Chaos. Migrationsexperte Knaus in der "ZiB2": "Die Strategie der EU geht nicht auf."

Nur noch vereinzelt sind NGO-Schiffe im Mittelmeer unterwegs um Migranten in Seenot zu retten. Denn die Häfen in Italien und Malta sind dicht. Auch in Spanien und Frankreich ist das Anlegen nicht erwünscht. Doch der Strom an Menschen ist ungebrochen. Über 100 Tote gab es alleine am vergangenen Wochenende im Mittelmeer. Die libysche Küstenwache ist mit der Kontrolle ihres Seegebiets überfordert, das Land ist kaum als ein souveräner Staat zu bezeichnen, die staatliche Kontrolle ist mangelhaft, Ansprechpartner sind stets mit Fragezeichen zu betrachten - wenn man überhaupt welche findet, wie Recherchen der italienischen Zeitung "Repubblica" zeigen.

In der ZiB2 am Montag, sagte der Migrationsexperte Gerald Knaus Montagabend im ORF. "Wir hatten im letzten Jahr 2300 Tote im Mittelmeer." Das seien immer noch "sehr viel mehr Tote als vor fünf Jahren". Die Strategie der EU, die Leute durch eine immer gefährlicher werdende Überfahrt an der Flucht zu hindern, gehe also nicht auf.

"Schnellere Bearbeitung von Asylanträgen"

Zwar sei die Zahl der Flüchtlinge, die in Italien ankämen, zurückgegangen, betonte der Erfinder des Flüchtlingsabkommens zwischen der EU und der Türkei. Doch hätten gerade die großen Unfälle 2013 dazu geführt, dass sich viele Staaten und Nicht-Regierungsorganisationen mit Schiffen auf den Weg gemacht hätten, um die Menschen zu retten. In Libyen gibt es laut UNO unzumutbare Zustände, so Knaus. Noch schlimmer sei es allerdings, dass es in Italien eine Politik gebe, die "nicht nur in Kauf nehme, dass Menschen auf ihren Booten ertrinken, sondern die dann auch noch versucht, die Seenotretter" zu kriminalisieren. "Da zeigt sich Europa wirklich von seiner hässlichsten Seite."

In einem hätten aber der italienische Innenminister Matteo Salvini und die österreichische Bundesregierung Recht, so Knaus, ein Zurückgehen zur Situation vor zwei, drei Jahren könne nicht die Lösung sein. Vielmehr brauche es ein Signal, "dass sich Menschen gar nicht auf den Weg nach Europa machen", sagt er. Dazu brauche es aber die schnellere Bearbeitung von Asylanträgen und Rückführungsabkommen mit den Herkunftsländern. Der Strategie von Innenmister Herbert Kickl (FPÖ), das Signal zu senden, dass keine Asylanträge mehr angenommen werden, stünden von Österreich unterzeichnete Konventionen entgegen, so Knaus. Der einzige Weg wäre es daher Verfahren zu beschleunigen, menschliche Aufnahmezentren zu haben, "denn die meisten bekommen nämlich keinen Schutz und bleiben trotzdem jahrelang in Europa."

Italien will libyscher Küstenwache helfen

Die italienische Regierung will die Kritik der letzten Tage mit mehr Hilfe für die libysche Küstenwache abwehren. Man verspricht Libyen die rasche Lieferung von bereits versprochenen Schiffen zur Stärkung der Küstenwache. "Die Ausbildung des libyschen Personals ist bald zu Ende. In wenigen Wochen werden die zwölf Schiffe geliefert. Weniger Abfahrten bedeuten weniger Tote", sagte der italienische Verkehrsminister Danilo Toninelli.

Wie fragil der Kontakt zur libyschen Küstenwache ist, zeigt ein Video der italienischen Zeitung "Repubblica". Journalisten versuchten fünf von Telefonnummern anzurufen, die die libyschen Behörden herausgaben, um eine Rettungsmission an der Küste anzufordern. Diese seien bei der Internationalen Seeschifffahrtsorganisation der UNO registriert. Die EU finanziert die Rettung in der Search-and-Rescue-Zone mit 90 Millionen Euro. Das Ergebnis der Recherche der italienischen Zeitung: Drei von fünf Nummern funktionierten gar nicht. Bei der vierten Nummer bittet ein Tonband, es später erneut zu versuchen. Bei der fünften Nummer konnten sich die Journalisten nicht verständlich machen, denn am anderen Ende der Leitung, in Libyen, sagte man, man spreche kein Englisch, nur Arabisch.

Die italienische Regierung bilanziert nicht nach der Zahl der Toten im Mittelmeer. Sie blickt auf die Zahl der Ankünfte im Land. Und seit Anfang 2019 seien weniger als 200 Migranten in Italien eingetroffen, im Vergleichszeitraum 2018 waren es circa 2700 gewesen. Ziel der Regierung sei es, die Zahl der Ankünfte auf Null zu drücken, so Toninelli im Interview mit der Mailänder Tageszeitung "Corriere della Sera" am Dienstag. Dabei

Dabei habe die italienische Regierung wesentliche Schritte zur Bekämpfung von Menschenhändlern gemacht. Darüber hinaus müsse man Strategien zur Eindämmung der Flüchtlingsströme ergreifen. Innenminister Matteo Salvini wirft Frankreich vor, nicht an einem stabilen Libyen interessiert zu sein.

Libyen weist Schuld zurück

Libyens Küstenwache hatte sich gegen den Vorwurf verteidigt, die libyschen Gewässer zu wenig zu kontrollieren und die neue massiv Abfahrt von Migranten zugelassen zu haben. "Wir verfügen nicht über die notwendigen Kräfte, um bei jeder Situation Rettungseinsätze zu garantieren", so Admiral Ayoub Qassem, Sprecher der libyschen Küstenwache, laut der italienischen Nachrichtenagentur AGI am Montag.

Die libysche Küstenwache wies den Vorwurf zurück, ihrer Rettungspflicht nicht nachgekommen zu sein und somit am Freitag den Tod von mindestens 117 Personen im Mittelmeer verursacht zu haben. Nachdem die libysche Küstenwache von dem Schlauchboot in Seenot erfahren habe, sei ein Schiff gesendet worden. Dieses musste jedoch wegen einer Panne zurückkehren.

Das nächste Tauziehen um ein NGO-Schiff

Ein Symptom der derzeitigen Situation ist der regelmäßige Streit um Migranten an Bord von Schiffen von Hilfsorganisationen. Erneut geht es um die deutsche Hilfsorganisation Sea Watch, die am Samstag 47 Migranten auf dem Mittelmeer geborgen hat. Sie wartet weiter auf Anweisungen, in welchem Hafen diese landen sollen. Die Migranten an Bord seien vor der Aussicht einer Rückkehr nach Libyen in Panik. Befürchtet wird hinzu eine Verschlechterung der Wetterbedingungen, so die Hilfsorganisation nach Medienangaben.

Die 47 Menschen waren nach einem Notruf von einem Schlauchboot an Bord der "Sea-Watch-3" genommen worden. Die Migranten an Bord des Rettungsschiffes seien wegen der Nachricht besorgt, dass die 144 Migranten, die am Sonntag von dem Cargoschiff "Lady Sham" gerettet wurden, nach Libyen zurückgeführt worden seien. "Diese Menschen wollen nicht in die libysche Hölle zurück", sagte eine italienische Sprecherin von Sea Watch.

Flavio Di Giacomo, Sprecher der Internationalen Organisation für Migration (IOM), bestätigte, dass die Migranten an Bord der "Lady Sham" nach Libyen zurückgekehrt seien. "Viele Menschen sind in schlechter physischer Fassung. Libyen ist kein sicherer Hafen für die Rückführung von in internationalen Gewässern geretteten Menschen", so Di Giacomo.

>> Das Gespräch mit Gerald Knaus in der "ZiB2" in der TVThek des ORF

>> Das Video der "Repubblica" (italienisch)

(APA/Ag./klepa)

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