Afghanistan vor dramatischer Wende

Afghanistans Präsident Ashraf Ghani bot den Taliban in einer Fernsehansprache direkte Friedensgespräche an.
Afghanistans Präsident Ashraf Ghani bot den Taliban in einer Fernsehansprache direkte Friedensgespräche an.(c) REUTERS (HANDOUT)
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Präsident Ghani bietet den Taliban direkte Friedensgespräche an. Die USA haben mit den Extremisten bereits einen Rahmenvertrag ausgehandelt. Darin ist ein US-Abzug vorgesehen.

Kabuls politische Elite ist nervös. Während Washington seit geraumer Zeit mit den aufständischen Taliban im Golfemirat Katar einen Friedensdeal aushandelt, fühlt sich die Kabuler Regierung übergangen. Der Mann der Stunde ist nicht etwa Afghanistans Präsident Ashraf Ghani, sondern US-Chefunterhändler Zalmay Khalilzad, der selbst afghanische Wurzeln hat und die amerikanische Politik am Hindukusch seit fast vier Jahrzehnten beeinflusst. Nach den jüngsten Gesprächen, die immerhin ganze sechs Tage andauerten, könnte ein Abzug der internationalen Truppen – die Hauptforderung der Taliban – bald zur Realität werden.

Berichten zufolge steht ein Abzug der US-Truppen binnen 18 Monaten im Raum. Zwei Drittel der rund 22.000 ausländischen Soldaten sind US-Amerikaner. US-Außenminister Mike Pompeo sprach von einem „Durchbruch“. Ein Rahmenvertrag stehe bereits, verriet Unterhändler Khalilzad in der „New York Times“.

Präsidentenwahl gefährdet

„Kein Afghane will eine dauerhafte Stationierung ausländischer Truppen in seiner Heimat“, erklärte Präsident Ghani am Montag in einer Fernsehansprache und rief die Taliban zu direkten Friedensgesprächen auf. In der Nacht zuvor hatte sich Ghani in Kabul mit Khalilzad getroffen. Die Frage, inwiefern Ghanis Meinung überhaupt gefragt ist, bleibt jedoch weiterhin offen. Alle Verhandlungen in Katar fanden ohne Vertreter der afghanischen Regierung statt. Die radikal-islamistischen Taliban machten mehrmals ihr Desinteresse an Gesprächen mit der „Marionetten-Regierung“ in Kabul deutlich.

Für viele Afghanen lässt dies den Verdacht aufkommen, dass ein Friedensdeal über ihre Köpfe hinweg beschlossen werden könnte und vor allem amerikanische Interessen bedient, allerdings nicht afghanische. Ausgebootet wird in erster Linie Afghanistans gegenwärtige Polit-Elite, die nun den Verlust ihrer Macht fürchtet. Im Falle eines US-Truppenabzugs wäre es wohl nur eine Frage der Zeit, bis Ghanis Regierung zusammenbräche. Und das nicht nur wegen der Taliban. Am fragilen afghanischen Staat zerren viele Streitigkeiten zwischen brutalen Warlords und korrupten Politikern.

Insider-Informationen zufolge erwägen die USA und die Taliban, nach einem Deal eine Interimsregierung in Kabul zu errichten. Auch das macht Ghani und Co. nervös. Sie sehen die anstehenden Präsidentschaftswahlen im kommenden Juli gefährdet. Die US-Regierung und Khalilzad betonen allerdings stets, wie wichtig ein „innerafghanischer Dialog“ sei.

Das Hauptanliegen Washingtons ist es, dass Afghanistan nicht wieder, wie schon in den 1990er-Jahren, zu einem Rückzugsort von extremistischen Terrorgruppen wie al-Qaida wird. Diese Forderung akzeptieren allem Anschein nach auch die Taliban.

Al-Qaida macht sich am Hindukusch nicht mehr bemerkbar. Doch eine afghanische IS-Zelle hat in den vergangenen Jahren an Einfluss gewonnen und verheerende Anschläge in Kabul und anderswo verübt. Die Taliban, die seit jeher eine eher nationalistische Agenda pflegen, bekämpfen den IS in Afghanistan.

Es ist mehr als fraglich, ob nach einem Abzug der internationalen Truppen der jahrzehntelange Bürgerkrieg am Hindukusch zu einem Ende käme. Momentan werden die meisten Kampfhandlungen zwischen Taliban-Kämpfern und afghanischen Soldaten ausgetragen. In der vergangenen Woche wurden allein in der Provinz Wardak nahe Kabul mehr als 100 Soldaten durch einen einzigen Taliban-Anschlag getötet.

5000 US-Bomben im Jahr 2018

Präsident Ghani selbst führte vor wenigen Tagen aus, dass seit Beginn seiner Amtszeit im Jahr 2014 mehr als 45.000 afghanische Sicherheitskräfte getötet worden seien. Seinen Angaben zufolge fielen im selben Zeitraum nur rund 72 ausländische Soldaten. Der Präsident wollte damit darauf anspielen, dass die Taliban in erster Linie ihre eigenen Landsleute töten. Wenig oder gar nicht bewusst ist ihm offenbar, dass eine solche Bilanz auch für ihn und seine Regierung niederschmetternd ist. Denn während die Söhne reicher Politiker im Ausland studieren und einen luxuriösen Lebensstil pflegen, sind es die Söhne armer Familien, die als Kanonenfutter dienen.

Wer von Zahlen spricht, sollte dabei auch Folgendes nicht außer Acht lassen: Parallel zu den Gesprächsrunden in Katar warf das US-Militär allein im Jahr 2018 über 5000 Bomben in Afghanistan ab. Das ist ein Höchststand seit Beginn des Krieges.

Völlig offen ist, was nach einem Abzug der US-Soldaten mit den afghanischen Milizen geschehen soll, die von den Amerikanern gegründet wurden. Etwa mit den Spezialeinheiten in den Provinzen Khost und Nangarhar, die seit Jahren nicht nur gegen die Taliban kämpfen, sondern auch Angst und Schrecken in der Bevölkerung verbreiten und regelmäßig Zivilisten foltern und töten. Bei der Rekrutierung und Ausbildung der sogenannten Khost Protection Force ist nicht das US-Militär, sondern der Geheimdienst CIA federführend.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 29.01.2019)

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