Alles auf Anfang? Briten wollen einen anderen EU-Austritt

Briten wollen einen anderen EU-Austritt Großbritannien
Briten wollen einen anderen EU-Austritt Großbritannienimago/Xinhua
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Theresa May soll den von ihr fixierten Brexit-Deal neu verhandeln. Nur dieses Mal ohne die in London verhasste Rückfall-Klausel, die eine Wiederkehr der Kontrollen an der Grenze zwischen Republik Irland und Nordirland verhindern soll.

London/Wien. „Immer wieder das Gleiche tun und dabei andere Ergebnisse erwarten“ – so definierte Albert Einstein den Wahnsinn. Legt man diesen Maßstab an die gestrigen Ereignisse im britischen Unterhaus an, muss man zum Schluss kommen, dass das politische Establishment Großbritanniens momentan an kollektiver geistiger Umnachtung leidet.

Die Abgeordneten erteilten Premierministerin Theresa May den Auftrag, das im Lauf der vergangenen eineinhalb Jahre mit der EU verhandelte Austrittsabkommen neu zu verhandeln – nur dieses Mal ohne die in London verhasste Rückfall-Klausel, die eine Wiederkehr der Kontrollen an der Grenze zwischen Republik Irland und Nordirland verhindern soll.

Dass die Brexit-Beauftragten in Brüssel und die Vertreter der übrigen 27 Mitgliedsstaaten die Streichung des sogenannten Backstop gebetsmühlenartig ablehnen, spielte bei den gestrigen Beschlüssen ebenso wenig eine Rolle wie die Tatsache, dass der Backstop die Konsequenz der britischen Vorgaben zum künftigen Verhältnis zur EU ist.

Wer die gestrige Debatte im House of Commons mitverfolgt hat, konnte sich des Eindrucks nicht erwehren, dass die Briten Verhandlungen mit sich selbst führen und die EU dabei außer Acht lassen.

In sieben Abstimmungen legten die Unterhausabgeordneten Dienstagabend den Kurs für die Regierungschefin fest – Mays Plan A wurde vor zwei Wochen zu Grabe getragen, als eine große Mehrheit der Parlamentarier gegen das von ihr verhandelte Austrittsabkommen votierte. Die gestrigen Abstimmungen hatten das Ziel, die Grundrisse eines alternativen Plans zu skizzieren.

Die gestern angefertigte Skizze ähnelt frappant jener, die die Befürworter des Brexit bereits zuvor angefertigt hatten: Anträge, die darauf hinausliefen, das Austrittsdatum zu verzögern bzw. den Weg für Abstimmungen über alternative Varianten des Brexit zu öffnen, fanden im Plenum keine Mehrheit. Stattdessen stimmten XY Abgeordnete für den Vorschlag des Vorsitzenden des „1922 committee“ der konservativen Hinterbänkler, Graham Brady: An der Stelle des Backstop sollen demnach nicht näher definierte „alternative Regelungen“ treten.

Der Auftrag an die Regierung ist klar: May soll nach Brüssel reisen und einen anderen, besseren Austrittsdeal verhandeln. Wie dieser Deal aussehen soll, steht in einem Entwurf, den zwei Konservative – Brexit-Befürworter Kit Malthouse und die europafreundliche Nicky Morgan – verfasst haben. Kern des sogenannten „Malthouse-Kompromisses“: Nicht näher spezifizierte technologische Lösungen sollen Grenzkontrollen zwischen Irland und Nordirland ersetzen. Auch dieser Vorschlag ist nicht neu – und wurde bereits von der EU als nicht praktikabel verworfen.

Mays neuer Deal

May will jedenfalls bis 13. Februar ihre EU-Partner von der Notwendigkeit eines neuen Deals überzeugen. Die ersten Reaktionen kamen Dienstagabend – und sie waren alles andere als entgegenkommend. „Darüber kann nicht mehr verhandelt werden“, sagte Frankreichs Staatspräsident Emmanuel Macron, während Bundeskanzler Sebastian Kurz wissen ließ, dass er Neuverhandlungen für „unrealistisch“ halte.
Das EU-Austrittsdatum ist für den 29. März festgesetzt – und zwar unabhängig davon, ob es eine Übereinkunft zwischen London und Brüssel gibt

("Die Presse", Print-Ausgabe, 30.01.2019)

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