Ein Mord, der die Slowakei bis heute spaltet

APA/AFP/VLADIMIR SIMICEK
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Fall Ján Kuciak. Vor einem Jahr wurden der Journalist und seine Verlobte in ihrem Haus ermordet. Die Hintergründe sind ungeklärt. Die politischen Lager versuchen, die wenigen Informationen für eigene Zwecke auszuschlachten.

Bratislava. Der brutale Mord an einem slowakischen Journalisten und seiner Verlobten schockierte vor einem Jahr die ganze Welt. Am 21. Februar 2018 wurden der Enthüllungsjournalist Ján Kuciak und seine Verlobte, Martina Kušnírová, in ihrem Haus in dem kleinen westslowakischen Dorf Veľká Mača im Stil einer mafiösen Hinrichtung erschossen. Massenproteste führten bald danach zum Sturz der Regierung.

Und auch am Donnerstag, dem ersten Jahrestag des Mordes, sind tausende Menschen auf die Straße gegangen. Bei den Massenkundgebungen, die parallel in 36 Städten der Slowakei und mehr als 20 im Ausland angekündigt worden waren, forderten sie die restlose Aufklärung der Bluttat: Die Mordermittlungen laufen noch, in der Öffentlichkeit kursieren Spekulationen über die Tat und vor allem die Auftraggeber. Oft wird der Name eines Geschäftsmannes genannt.

„Nach all den Angriffen von Marián Kočner auf uns Journalisten würden wir uns geradezu wünschen, dass er der Auftraggeber war“, sagt Árpád Soltész, der Leiter des nach dem Ermordeten benannten Ján-Kuciak-Investigativzentrums (ICJK). Gerade deshalb aber sei Vorsicht bei Verdächtigungen geboten. Kočner ist ein Unternehmer, der offenbar erfahrene Geheimdienstler und sogar aktive Polizisten beschäftigt hat, um im Privatleben seiner zahlreichen Gegner zu schnüffeln und kompromittierendes Material gegen sie zu sammeln. Auch Kuciak hat er wenige Monate vor dessen Ermordung gedroht: „Ich werde über Sie und Ihre Familie ebenso viel Schmutz zutage fördern wie Sie über mich!“ Inzwischen sitzt Kočner im Gefängnis, aber nicht wegen des Mordfalls, sondern, weil er mit vermutlich gefälschten Schuldscheinen 69 Millionen Euro vom größten Privatsender des Landes, TV Markíza, ergattern wollte.

Die Mordermittlungen waren zunächst in eine andere Richtung gelaufen. Kuciak hatte vor allem über die Verfilzungen von Politik und dubiosen Unternehmern geschrieben. Seine erst nach dem Mord veröffentlichte letzte Reportage über die Verbindungen mutmaßlicher italienischer Mafiaclans zu slowakischen Regierungspolitikern löste Massendemonstrationen aus, die zum Rücktritt der vom Sozialdemokraten Robert Fico geführten Regierung und des Polizeipräsidenten führten.

Unabhängigere Justiz

Doch nicht nur die Rücktritte von Männern, die sich jahrelang allmächtig wähnten, seien ein wichtiger Erfolg, sagt Soltész. Früher galten Polizei und Justiz als korrupt und politisch beeinflusst – heute könnten sie, auch dank der internationalen Aufmerksamkeit, unabhängig arbeiten und hätten in der slowakischen Öffentlichkeit deutlich an Vertrauen gewonnen. Und auch der Journalismus habe entgegen dem internationalen Trend an Zustimmung gewonnen.

Die Medien sehen sich aber auch Kritik ausgesetzt: Tag für Tag veröffentlichen Zeitungen und Internetportale vertrauliche Informationen aus den Verhörprotokollen des Mordfalls, die eigentlich geheim bleiben sollten, um die Ermittlungen nicht zu gefährden, wie die Staatsanwaltschaft immer wieder betont. Soltész bekennt, dass sich die Journalistenszene uneins über diese Veröffentlichungen ist. Doch auf diese Weise sei zumindest garantiert, dass einmal bekannte Hinweise auf konkrete Verdächtigte nicht mehr verloren gingen.

Rechts gegen links

Ganz anders sieht das Luboš Blaha, der für die regierenden Sozialdemokraten den europapolitischen Ausschuss des slowakischen Parlaments leitet. Es sei kein Zufall, dass sich Staranwälte wie der ehemalige konservative Justiz- und Innenminister, Daniel Lipšic, von sich aus angeboten hätten, die keineswegs finanzkräftigen Familien der Mordopfer zu vertreten. Wer als Anwalt Einsicht in alle Akten und Vernehmungsprotokolle habe, könne die nach Sensationen gierenden Medien nach eigenem Willen mit selektiven Informationen füttern und dadurch die öffentliche Meinung lenken.

„Im Unterschied zu typischen westlichen Demokratien gibt es bei uns nur rechte Medien, aber keine linken“, beklagt sich der Sozialdemokrat. In dieser Medienlandschaft sei die von der Polizei nur vorübergehend verfolgte Spur zur italienischen Mafia so aufgebauscht worden, dass der falsche Eindruck entstanden sei, die Regierung stehe hinter dem Mord. Dieser Verdacht sei zwar mittlerweile widerlegt, die Slowakei bleibe aber gespalten.

Vier Verdächtige in Haft

Inzwischen sitzen als Mordverdächtige drei Männer und eine Frau im Gefängnis: der mutmaßliche Mörder Tomas Szabó, sein Fahrer Miroslav Marček, die direkte Auftraggeberin, Alena Zsuzsová, sowie ein weiterer Komplize, Zoltán Andruskó, der als Einziger mit der Polizei kooperiert. Immer wieder kolportieren Medien das Gerücht, wonach Andruskó den Geschäftsmann Kočner als eigentlichen Auftraggeber genannt haben soll. Da Zsuzsová den Journalisten Kuciak offenbar nicht einmal kannte, lag von Anfang an der Verdacht nahe, dass sie den Mordauftrag für einen zahlungskräftigen Klienten erteilt haben dürfte.

Der Vertrauensverlust, den die regierenden Sozialdemokraten erlitten haben, komme jedoch kaum der bürgerlichen Opposition zugute, meint der Politologe Juraj Marušiak. Im Aufwind seien stattdessen „populistische und rechtsextremistische Antisystemparteien“. Hier bricht auch der regierungskritische Journalist Soltész überraschend eine Lanze für den Ex-Premier: „Fico war trotz all seiner Fehler der wichtigste Garant einer proeuropäischen Verankerung der Slowakei. Die ist jetzt in Gefahr.“

("Die Presse", Print-Ausgabe, 22.02.2019)

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