Serbien: Seit drei Monaten gehen Tausende Menschen gegen Präsidenten auf die Straße

REUTERS/Marko Djurica
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Die Demonstranten werfen Alexander Vucic autoritäre Züge vor. Doch der gibt sich angesichts der guten Umfragewerte gelassen.

Bereits seit drei Monaten gehen in Serbiens Hauptstadt Belgrad und in zahlreichen anderen Städten des Landes wöchentlich Tausende Bürger auf die Straße, um ihre Unzufriedenheit zu bekunden. Die Proteste richten sich in erster Linie gegen Präsident Aleksandar Vucic.

Die Protestierenden werfen Vucic vor, autoritär zu regieren und die Opposition, die Medien und die Zivilgesellschaft mundtot zu machen. Gefordert wird außerdem die Aufklärung des Mordanschlags auf den kosovo-serbischen Politiker Oliver Ivanovic. Der gemäßigte Politiker war am 16. Jänner 2018 vor den Räumlichkeiten seiner Partei in Nord-Mitrovica ermordet worden. Der Hauptverdächtige Milan R., ein Spitzenfunktionär der Belgrad-treuen kosovarischen "Serbischen Liste", soll sich seit Monaten unter Schutz der Behörden in Serbien aufhalten.

Drei Monate nach Beginn der Proteste sind viele Demonstranten enttäuscht, trotzdem gehen weiterhin einmal wöchentlich Tausende Menschen in Dutzenden serbischen Städten auf die Straße. Nach einem Vorfall am vergangenen Samstag bezeichneten einige Protestteilnehmer die Bilanz der bisherigen Proteste als vorläufigen Punktesieg: 1:0 für Vucic.

Überraschung im "Tunnel der Lügen"

Demonstranten hatten am Samstagabend versucht, Aufkleber mit Zitaten des Präsidenten, die die Protestorganisatoren als "Lügen" brandmarken wollten, in einem Straßentunnel im Belgrader Stadtzentrum anzubringen. Dabei mussten sie feststellen, dass die Tunnelwände mit einer Schutzschicht bemalt worden waren, die das Anbringen von Aufkleber unmöglich machte. Der "Terazijski tunel" war zuvor von Organisatoren der Proteste symbolisch in "Tunnel der Lügen Vucic' " umgetauft worden.

Tausende von Aufklebern wurden daraufhin an Häuserwänden entlang der Protestroute angebracht. Aber auch Eingangstüren von Wohnhäusern in anderen Teilen der Stadt wurden in der Nacht auf Sonntag mit Aufklebern versehen.

Präsident Vucic zeigte sich bisher angesichts der anhaltenden Proteste gelassen. Solange es keine Gewalt und Ausschreitungen gebe, bleibe der Protest ein demokratisches Recht, meinte er jüngst gegenüber der italienischen Nachrichtenagentur ANSA. Bisher sind die wöchentlichen Demonstrationen friedlich verlaufen, oft beteiligten sich auch junge Familien mit Kindern an den Protestmärschen.

Demonstranten werfen Vucic Verfassungsverstoß vor

Die Unzufriedenen werfen Vucic seit langem anhaltende Verstöße gegen die Verfassung vor. Das Staatsoberhaupt hat in Serbien laut Verfassung nur geringe Befugnisse. Vucic scheint dagegen nach Meinung der Demonstranten in wechselnden Rollen als Regierungschef, als Oberster Richter oder als Oberster Militärkommandant aufzutreten.

Der Präsident und seine regierende Serbische Fortschrittspartei (SNS) genießt laut Umfragen trotz der anhaltenden Proteste weiterhin die mehrheitliche Unterstützung der Bürger. Die Oppositionsparteien liegen weit abgeschlagen dahinter. Das im vergangenen Jahr gegründete Bündnis für Serbien (SZS), zu dem auch die Demokratische Partei des 2003 ermordeten Premier Zoran Djindjic gehört, kommt in den Umfragen auf 10 bis 15 Prozent.

Obwohl Oppositionspolitiker regelmäßig an den Protesten teilnehmen, werden diese von Bürgervereinigungen organisiert und geführt.

Opposition ist zersplittert

Die Demonstranten scheinen bisher allerdings keine große Hoffnung in die schwache Opposition zu setzen. Nicht zuletzt auch deswegen, weil dem wichtigsten Oppositionsbündnis SZS Parteien von ganz unterschiedlicher Ausrichtungen von der extremen Rechten bis zur Linken angehören.

Die Protestwelle hatte mit einer Demonstration am 9. Dezember in Belgrad begonnen, nachdem der bekannte Oppositionspolitiker Borko Stefanovic am 23. November in Krusevac verprügelt worden war. Zuvor hatten Demonstranten bereits am 30. November einen "Stopp der blutverschmierten Hemden" in Krusevac verlangt.

Für noch breiteren Unmut sorgte Vucic mit seiner ersten Reaktion auf die Proteste. Er erklärte, dass er nicht vorhabe, die Forderungen der Demonstranten zu erfüllen, auch wenn fünf Millionen - das entspricht fast der Zahl aller Wahlberechtigten - auf die Straßen gehen würden. Seitdem werden die Proteste deshalb unter dem einheitlichen Motto "Einer von fünf Millionen" abgehalten.

(APA)

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