Die drei Gerichtsszenarien für IS-Kämpfer

Außenministerin Kneissl plädiert für den Internationalen Strafgerichtshof.
Außenministerin Kneissl plädiert für den Internationalen Strafgerichtshof.APA/AFP/YURI KADOBNOV
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Außenministerin Kneissl plädiert für den Internationalen Strafgerichtshof, Ex-Chefanklägerin Del Ponte für Tribunale nahe Syrien, andere für Gerichte in Herkunftsländer der Jihadisten. Oder triumphiert die Straflosigkeit?

Wien. Ex-Chefanklägerin Carla del Ponte hat mit einem Interview in der „Presse am Sonntag“ eine hitzige Debatte über ein internationales Syrien-Tribunal ausgelöst, vor dem auch IS-Kämpfer landen sollen. So äußerte sich Außenministerin Karin Kneissl gegenüber der APA skeptisch zu del Pontes Forderung, in einem Nachbarland Syriens ein UN-Tribunal zu errichten. Del Ponte fordert einen Gerichtshof wie jene für Ex-Jugoslawien oder Ruanda.

Dazu wäre aber das grüne Licht aller UN-Vetomächte notwendig. Kneissl bezweifelt, dass es den notwendigen Konsens dafür gibt. Die Außenministerin appellierte: „Bitte nehmen wir den Internationalen Strafgerichtshof (IstGH), das wäre der umfassendste und sinnvollste Zugang.“ Kneissl räumte allerdings selbst ein, dass es Hürden gebe: Syrien sei dem IstGH in Den Haag bisher nicht beigetreten – eine „reformierte syrische Regierung müsste den Beitritt ratifizieren.“ Experten sind sich einig, dass dies beim Assad-Regime unrealistisch sei.

Brisant ist die Diskussion deshalb, weil es auch um das Schicksal europäischer IS-Terroristen geht, die nach Syrien und in den Irak gezogen sind und sich nun in kurdischer Gefangenschaft befinden. Viele EU-Länder wie etwa Österreich weigern sich, IS-Mitglieder aufzunehmen und vor nationale Gerichte zu stellen.

Peter Hilpold, Professor für Völker- und Europarecht an der Universität Innsbruck, kann der Argumentation der Außenministerin nicht viel abgewinnen. Mögliche Prozesse zu Syrien-Verbrechen würden das Haager Tribunal überfordern. Viel zu viele Angeklagte müssten für die Verfahren nach Den Haag gebracht und verwahrt werden, dafür fehlten Räumlichkeiten, sagt der Professor zur „Presse“. Zudem wurde in Den Haag bisher vor allem bekannten Persönlichkeiten der Prozess gemacht. Im Falle der IS-Verbrecher handle es sich aber um Täter, die kaum jemand kenne. Das Fazit Hilpolds: Das Haager Tribunal sei nur der „Anfang“ der internationalen Strafgerichtsbarkeit gewesen: „Jetzt brauchen wir neue Strukturen.“

Tribunale in Syrien und Irak?

Die geeignetere Lösung sei deshalb ein eigenes Syrien-Tribunal in der Region, so wie es auch del Ponte fordert. Freilich sei die Errichtung eines solchen Strafgerichtshofes mit großem Aufwand verbunden. Umso wichtiger sei es, politischen Druck aufzubauen, um einen internationalen Konsens zu erreichen. Dann könnte man auch die USA und andere UNO-Vetostaaten überzeugen. Hilpold würde sich wünschen, dass auch Österreich in diese Richtung arbeite – oder aber realistische Alternativen anbiete.

Notfalls wäre es laut Hilpold auch vorstellbar, IS-Verbrecher vor eigens errichtete nationale Tribunale in Syrien oder Irak zu stellen, die mit der UNO zusammenarbeiten. Angesichts der politischen Lage in den beiden Ländern wäre dies aber schwierig, zudem würden die Verbrechen des Assad-Regimes ungeahndet bleiben.

Der Professor warnt vor dem Worst-Case-Szenario: gar keine internationale Prozesse – also internationale Straflosigkeit. Denn international müsse der Druck weiter bestehen, dass schwere Straftaten geahndet werden. (basta)

("Die Presse", Print-Ausgabe, 26.03.2019)

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