Indien ist neu im Klub der "Satelliten-Killer"

Advanced Air Defence interceptor bei Teststart von Abdul-Kalam-Island, 2017
Advanced Air Defence interceptor bei Teststart von Abdul-Kalam-Island, 2017DRDO
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Das Land hat am Mittwoch mit einer Rakete einen ausgedienten Satelliten in 300 Kilometern Höhe zerstört. Bisher haben bekanntermaßen nur die USA, Russland und China solche Systeme.

Indien hat am Mittwoch eine bemerkenswerte technologische Schwelle überschritten und damit das Eintrittsticket in einen der exklusivsten Klubs der Welt gelöst: Wie Premierminister Narendra Modi in einer zuvor angekündigten TV-Rede bekanntgab, habe man erstmals einen Satelliten im All beschießen und zerstören können. Dabei wurde eine bodengestützte Antisatelliten-Rakete (ASAT) eingesetzt.

Modi sprach von einem "großen Durchbruch" im nationalen Weltraumprogramm Indiens. Damit sei man nach den USA, Russland und China die vierte Macht, die einen Satelliten außer Gefecht gesetzt hat.

In technischer Hinsicht waren dazu vorerst nur Angaben indischer Medien verfügbar, die sich auf die Defence Research and Development Organisation (DRDO) stützen. Demnach lief die Aktion unter dem Namen "Mission Shakti" - in Sanskrit bedeutet das „Kraft" und "Energie", im Hinduismus steht es für die weibliche Urkraft des Universums. Die Rakete hob von einem Startkomplex auf Abdul-Kalam-Island ab, das ist im Norden des Golfs von Bengalen rund 250 Kilometer südlich von Kalkutta.

Premierminister Modi verkündet den Abschuss
Premierminister Modi verkündet den AbschussREUTERS

Als Zielobjekt diente ein ausrangierter indischer Satellit nicht näher genannten Typs, angeblich sogar ein Mikrosatellit, also ein sehr kleines Objekt mit einer Masse von zwischen zehn und 100 Kilogramm. Er befand sich auf nur noch rund 300 Kilometern Höhe, also am praktisch unteren Rand des Low-Earth-Orbit-Bereichs, der bis in 2000 Kilometer Höhe angesetzt wird. Bei nur wenigen hundert Kilometern Höhe wirken bereits dünne Ausläufer der Atmosphäre bremsend auf Satelliten, sodass diese, sofern sie nicht gegensteuern können, recht rasch zur Erde fallen. Der indische Satellit wäre, hieß es, in einigen Wochen oder Monaten verglüht.

Treffer nach drei Minuten

Die Rakete habe ihn nur drei Minuten nach dem Start getroffen. Die Trümmer würden ebenfalls in Bälde verglühen und auf dieser Bahn keine anderen Satelliten oder Raumfahrzeuge gefährden. "Indien hat seinen Namen als Weltraummacht damit eingetragen", so Modi, der kommenden Monat eine Parlamentswahl in dem Land mit seinen rund 1,4 Milliarden Bürgern zu schlagen hat.

Die benutzte Rakete stammte aus dem Programm zur Abwehr ballistischer Raketen, sie wurde als "Advanced Air Defence Interceptor" (AADI) bezeichnet. Indien testete spätestens 2006 Abwehrraketen gegen ballistische Mittelstreckenraketen, wobei jene des AADI-Modells freilich nach Angaben vom Vorjahr bisher nur auf Abfanghöhen zwischen 15 und 25, möglicherweise 40 Kilometer eingestellt sind. Sie sind etwa 7,5 Meter lang, wiegen rund eine Tonne, haben einen einstufigen Feststoffmotor und steuern sich im Endanflug selbst per Radar. Mehrfach wurden ballistische Raketen bei Tests abgefangen. Wenn nun eine AADI auf 300 Kilometer Höhe gebracht wurde, handelt es sich entweder um eine reichweitengesteigerte Variante oder doch um ein anderes Modell.

Ähnliche Abschüsse von Testsatelliten der USA, Russlands und Chinas haben schon vor vielen Jahren stattgefunden, sind aber grundsätzlich schon deshalb sehr selten, weil dabei durch Trümmer eine Menge Müll erzeugt wird. Falls das in den wichtigsten Orbits (rund 500 bis 1200 km) stattfindet, werden potenziell viele Satelliten, ja auch die Raumstation ISS (Höhe rund 400 km), bedroht, was Unternehmen und Weltraumorganisationen eher nicht gefällt.

Tests seit 1959

Die berühmte Anti-Satelliten-Aktion von 1985
Die berühmte Anti-Satelliten-Aktion von 1985U.S. Air Force

Die USA führten schon 1959 einen ASAT-Test durch, wobei sie eine potenziell nuklear bestückte Abfangrakete nahe genug an einem Ziel vorbeischossen, sodass dieses im Explosionsfall vernichtet worden wäre. Ähnliche Waffen nuklearer und konventioneller Art entwickelte und testete die UdSSR. 1985 startete eine kleine Abfangrakete von einem F-15-"Eagle"-Kampfjet der USA in rund 11,5 Kilometer Höhe und zerstörte einen alten Sonnenbeobachtungssatelliten in 555 km Höhe.

Danach gab es lange nichts, bis China 2007 einen Satelliten durch eine modifizierte Mittelstreckenrakete abschoss - es folgten Proteste wegen der enormen Trümmerwolke (mindestens 3000 Teile), die noch dazu in mehr als 800 km Höhe entstanden war. Also hoch genug, dass das Gros davon noch heute wie die Ladung eines Schrotgewehrs um die Erde kreist.

Dass die USA bereits im Jahr darauf ebenfalls einen ihrer Satelliten vom Himmel holten, war allerdings mehr der nationalen Sicherheit geschuldet und weniger als Geste an Peking gedacht: Damals drohte ein hochmoderner Spionagesatellit abzustürzen, und Berichten zufolge fürchtete man, dass Teile davon niedergehen und in fremde Hände gelangen könnten; zudem waren 500 Kilogramm gefrorenen Raketentreibstoffs an Bord, der den Absturz großteils überleben und wegen seiner Giftigkeit sehr gefährlich sein konnte. Der Satellit wurde im Februar 2008 von einer Rakete Typ Standard-Missile-3 des Kreuzers USS Lake Erie, der nahe Hawaii kreuzte, in 247 Kilometern Höhe zerstört. Das letzte bekannte Trümmerteil verglühte im Oktober 2008.

Der Kreuzer USS Lake Erie anno 2013
Der Kreuzer USS Lake Erie anno 2013U.S. Navy

Von Indiens Rivalen Pakistan gab es vorerst keinen Kommentar, auch nicht von China. Beobachter sehen den Test vor allem als Reaktion auf die Weltraum- und Rüstungsprogramme der beiden Staaten. Indische Militärs und Wissenschaftler haben schon lange einen Test verlangt, um Flagge zu zeigen: Das beweist etwa ein Papier von 2012, das in einem Kernsatz besagt, es genüge nicht, "eine Kapazität nur zu besitzen, man muss das auch demonstrieren, um potenzielle Gegner abzuschrecken"

Frühere Regierungen schreckten aus außenpolitischen Gründen davor zurück. Premierminister Modi, im Amt seit 2014, hatte aufgrund seines Hindu-nationalistischen Kurses aber wohl weniger Bedenken; immerhin ließ er vorigen Monat als Reaktion auf einen gewaltigen Anschlag sogar Luftangriffe gegen militante Islamisten im pakistanischen Teil Kaschmirs fliegen, was als Tabu galt.

Pakistans Reaktion bleibt abzuwarten

Indien betonte nach dem Abschuss, der übrigens rein durch eine Kollision und ohne Nutzung von Sprengmitteln erfolgte, dass der Test gegen niemanden gerichtet sei und nicht als Teil eines Rüstungswettlaufs im All zu verstehen sei. Allerdings könnte nun auch Pakistan, das bisher - so viel man weiß - keine ASAT-Waffen hat, in diese Richtung drängen. Dabei kann es unter Umständen auf die Hilfe Chinas zählen, mit dem sich eine strategische und militärtechnische Partnerschaft entwickelt hat.

(Reuters/WG)

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